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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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um eine Gefälligkeit zu bitten, alter Knabe. Ich will dich nicht lange aufhalten. Kann nicht sagen, daß du dich seit den guten alten Seziersaaltagen verändert hättest. Glücklicherweise präparierten wir damals das Bein gemeinsam, sonst hätte ich es nie geschafft. Gräßlicher ekelhafter Ort, ich konnte mich nie daran gewöhnen.« Er rümpfte verächtlich die Nase, und dabei fiel ihm das Monokel wieder aus dem Auge.
    »Hast du dein Examen noch gemacht?«
    »Aber klar. Zweifelst du etwa daran? Es hat mich natürlich Zeit gekostet, aber Mama hat mich engelhaft unterstützt. Um zur Sache zu kommen: ich habe eine sehr vornehme Praxis in Park Street. Schahs und Scheichs und so. Auch habe ich da eine Puppe von einer Prinzessin, Inderin oder so, die zurück muß in ihren väterlichen Palast und die Angst vor dem Fliegen hat. Sie will, daß ich sie begleite. Ich weiß nicht, ob du mal kürzlich versucht hast, einen Stellvertreter zu finden, sie sind rarer als Gold. Dachte, dich zu fragen, ob du nach meinen Patienten sehen würdest, solange ich fort bin... «
    Ich wollte protestieren. Er hielt eine Hand hoch.
    »Nur an den Abenden. Ich habe jemanden, der bis sechs Uhr da ist.«
    »Aber die Park Street ist meilenweit entfernt. Bis ich hinkomme, sind deine Patienten tot.«
    »Es gibt einen Unfalldienst, den man anrufen kann, wenn etwas absolut unmöglich ist.« Er betrachtete seine Fingerspitzen. »Fünf Guineen pro Visite!«
    »Nun... «
    Er sprang auf. »Ich wußte, daß du mir helfen würdest. Äußerst liebenswürdig von dir. Muß mich beeilen. Gut, daß man sich auf einen alten Freund verlassen kann.« Er war schon an der Tür.
    »Moment mal! Wann reist du ab?«
    »Nach Karachi?« Er zog eine Uhr aus der Westentasche. »In zwei Stunden. Höchste Eisenbahn! Haaaa! Also dann, bis in einigen Wochen.«
    Fort war er, und herein humpelte Mrs. Brook mit ihrer Arthritis.
    Nach der Sprechstunde brachte ich Miss Nisbet mit dem Wagen zu ihrem Ronald, der bereits ungeduldig auf sein Steak wartete und auf den Nierenpudding, den sie in den automatischen Ofen eingeschoben hatte, und dann fuhr ich weiter zum Hospital, der Bühne des Morgendramas.
    Baby Kevin schlief friedlich und war außer Gefahr. Lucy Gunner war in den Privatflügel übergesiedelt.
    Das erste, was ich sah, waren Blumen. Dann erkannte ich Harry Gunner, der müde und gealtert in einem Lehnstuhl saß; schließlich Lucy, blaß, aber munter im Bett. Sie war so schön wie eh und je. In ihrem Blumengarten war sie selbst eine zarte Blume. Sie hatte geweint.
    »Ich muß Ihnen danken«, sagte sie.
    »Ich bin froh, daß ich noch rechtzeitig kam.«
    »Ich habe in der letzten Minute die Nerven verloren.«
    »Sei still, Liebling«, sagte Harry Gunner. »Versuche zu schlafen. Ich werde draußen mit dem Doktor sprechen.«
    Ihr Gesicht war entspannt, fast ausdruckslos nach der Hölle des Tages, der hinter ihr lag.
    Draußen sagte Harry Gunner: »Ihr Partner hat nicht viel Licht in den Fall gebracht. Lucy hat alles, was sie sich wünscht, alles. Es gibt nichts auf der Welt, was sie deprimieren dürfte.«
    »Manchmal sind die Menschen ohne jeden Grund depressiv.«
    »Es muß doch einen Grund haben. Ich würde alles geben, wenn Sie das herausfinden. Lucy ist mein Alles.«
    »Ich will mein Bestes tun, aber eigentlich ist Ihre Frau Patientin von Dr. Letchworth.«
    Er legte eine Hand auf meine Schulter. »Ich weiß, Sie werden es tun. Das darf nicht noch einmal passieren. Und vielen Dank, daß Sie gekommen sind, um nach ihr zu sehen.« Er ging zurück, ein müder alter Mann, und ich fragte mich, was Lucy an ihm gefunden haben mochte. Ich lächelte die junge, hübsche Schwester an, die »Guten Abend, Sir«, zu mir sagte. Plötzlich stellte ich mit Schrecken fest, daß auch ich nicht mehr so jung war, wie ich mir einbildete.
     

9
     
    Ich ging spät schlafen, müde und zerschlagen, wie es nun schon zur Gewohnheit geworden war, und mit einem störenden Husten, der mich oft überfiel, wenn ich übermüdet war. Ich ließ mir Sylvias ausgezeichnete Idee mit Paris noch einmal durch den Kopf gehen,! das dauerte ungefähr anderthalb Minuten, dann war ich bereits eingeschlafen. Einige Sekunden später wurde ich durch einen Ellbogen geweckt, der hart und fest gegen meine Rippen pochte.
    »Um Gottes willen, ist was los?« fragte ich Sylvia.
    »Du machst mich ganz närrisch. Es ist zwei Uhr nachts, und ich * habe noch nicht einen Augenblick geschlafen.«
    »Warum denn nicht? Was tue ich

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