Auf Couchtour
Kontrolleur schmunzelte und tippte mit dem Finger auf das Bild, während er mich begutachtete. Ich sagte ihm, ich hätte die Nase neu und sei noch nicht dazu gekommen, das Bild aktualisieren zu lassen. Er tippte weiter, als würde er darauf warten, dass ich meine Nase abnehme, um zu beweisen, dass ich es bin. Ich tat so, als würde ich es versuchen, signalisierte ihm aber mit einem Schulterzucken, dass es zwecklos war. Das Ding saß fest. Er machte sich eine Kopie meines Ausweises und winkte mich mit einem großzügigen ›Na gut‹ weiter. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich habe seine Kollegen aus der Ferne lachen hören. Sausäcke.
Die Brücke zum Flugzeug war ein langer, mit Teppich ausgelegter Flur. Durch die Fenster an den Seiten sah man geschäftiges Treiben von Menschen und Maschinen. Wir ließen uns Zeit und schauten dabei zu, wie brennende Triebwerke gelöscht und kistenweise Drogen verladen wurden. Zwei Männer schleiften einen sturztrunkenen Piloten mit sich, den sie abwechselnd ohrfeigten, damit er wieder zu Bewusstsein kam. Er sollte uns schließlich nach London fliegen.«
»Was?« Charline schnellt hoch und sitzt kerzengerade.
»Ich wollte nur wissen, ob du mir zuhörst oder in Gedanken noch bei Pierre van Deelen bist.«
»Nein. Der ist abgehakt. Mich erwartet Besseres, oder?«
»Worauf du dich verlassen kannst. Erst mal mussten wir aber hin, nach London. Unser Weg führte uns an einer Stewardess vorbei. Sie sah müde aus, versteckte ihre dunklen Augenringe allerdings unter einer Schicht Make-up, die selbst eine akute Beulenpest vertuscht hätte. Der Ton war viel zu dunkel für diese Jahreszeit. Das Braun endete direkt unter ihrem Kinn. Ihr Hals hatte dieselbe Farbe wie ihr Blusenkragen – weiß. Das war wohl auch der Grund, warum sie sich keinen Übergang geschminkt hatte. Sie begrüßte uns auf Englisch, Deutsch und Französisch. Ich antwortete für uns beide auf Dänisch.«
»Seit wann sprichst du Dänisch?«
»Gar nicht. Sie aber auch nicht, wie ich an ihrem unsicheren Blick ablesen konnte. Man hängt einfach an jedes Wort die Endungen -ölk, -ör, -ström, -org oder -bröd. Schon klingt es dänisch. Du kannst auch Buchstaben durch diese Silben ersetzen. Mach mal und roll das r dabei.«
»Gutenör Taström, wölk freuborg unsölk auför dör Flubröd.«
»Perfekt, ich hab nichts verstanden. Absolut richtig also.« Charline probiert noch ein paar Sätze. Sie freut sich über ihre neu gewonnene Sprache. Ich rate ihr davon ab, ihr Dänisch an Bernd auszuprobieren. Begriffsstutzig, wie er ist, würde er sich in Rage ärgern und mich aus lauter Hilflosigkeit beschuldigen, ihr Flausen in den Kopf gesetzt zu haben. Er mag mich, das weiß ich, aber wenn sich Charline seltsam verhält, bin immer ich dafür verantwortlich. So ist er eben. Es liegt mir fern, ihn zu ärgern, naja, mittelfern, zumindest weiter weg als nah. Sie nennt mich »Blödbröd«, ihre dänische Interpretation für Doofkopp – sicher nicht zum letzten Mal heute Abend.
»Wir reichten der Herrin der Augenringe unsere Platzkarten und folgten ihrem Fingerzeig nach rechts. Drei Sitze in einer Reihe. Der Platz am Fenster war besetzt. Warum? Es war deine Sitznummer. Ein Mann wandte uns den Rücken zu. Ich räusperte mich. Er reagierte nicht. Du meintest, die Mitte wäre okay und wolltest lieber klein beigeben, als Ärger machen. Ich wollte aber Letzteres und tippte ihm auf die Schulter. ›Guter Mann, wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Ihr Platz ist der am Gang. Am besten, Sie schauen mal nach. Diesmal genauer, wenn ich bitten darf.‹ Als er sich langsam umdrehte, bereute ich meinen Übermut. Was mich da musterte, war mir alles andere als freundlich gesonnen. ›Gute Frau‹, raunzte es mir entgegen, am Gang wird mir übel. Ich werde mich während des gesamten Fluges übergeben, wenn Sie auf Ihrem Platz bestehen, und versichere Ihnen: Ich bin nicht zielgenau, wenn es darum geht, in ein hauchdünnes Papiertütchen zu kotzen. Wenn Sie also unbefleckt in London landen möchten, setzen Sie sich dahin, wo frei ist. Ich hatte übrigens Matjes zum Frühstück.‹ Ohne meine Antwort abzuwarten, zeigte er uns wieder die kalte Schulter.
Er hätte auch lange warten können, ich war baff. Ich starrte seinen Rücken an und versuchte, mich zu erinnern, wann mich jemals jemand derart abgekanzelt hatte. Mich, das letzte Wort in Person. Ich schaute mich um, ob einer der Passagiere meine Niederlage mitbekommen hatte. War vielleicht eine
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