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Auf Couchtour

Auf Couchtour

Titel: Auf Couchtour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Wickmann
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welche Aufgabe ihm dort bevorstand. Manufaktur ist ein dehnbarer Begriff. Aber Liebe macht blind und ebenso gutgläubig. Wer weiß das besser als ich. Das Basteln von Muschelmännchen – vorzugsweise angelnde Frösche mit Muschelköder, an einer Muschelküste unter Muschelpalmen – wurde schon bald zu einer verhassten Tortur, die zudem nur wenig Geld einbrachte. Die Klebstoffdünste machten Peter melancholisch, und er entwickelte eine Abneigung gegen Muscheln, die in unkontrollierten, aggressiven Schüben aus ihm hervorbrach. Eines Morgens zündete er den Laden an und machte sich aus dem Staub. Er hatte die Nase voll vom Schwarzen Meer und von seiner Freundin, die er mit einem Häufchen Asche als Andenken zurückließ. Männer. Wenigstens hat er ihr den Fernseher dagelassen.«
    »Aber nur, weil er sich auf der Flucht nicht damit abschleppen wollte«, schmunzelt Charline in Gedanken an Jürgen.
    »Kann gut sein. Er tingelte jahrelang durch aller Herren Länder und jobbte für Kost und Logis, bis es ihn wieder in die Heimat zog.«
    »Wie kommst du überhaupt auf Muschelmännchen?«
    »Ich habe so ein Souvenir auf der letzten Weihnachtsfeier beim Schrottwichteln erwürfelt: ›Made in Bulgaria.‹ Dreimal darfst du raten, wer es verpackt hat.«
    »Eine von Abba?«
    »Meine Kollegin Alina Bauer, genau. In meinem Traum war sie übrigens die zurückgelassene Freundin, die sich, ihrer Liebe und Lebensgrundlage beraubt, ertränkte.«
    »Du Fiesling!«
    »Was kann ich dafür? Ich lag auf der Couch und schlief. Mich trifft keine Schuld.«
    »Natürlich. Hast du den Wettbewerb denn nun gewonnen?« Charline will das Thema abschließen, aber ich habe hier das Kommando und bleibe dabei.
    »Ich aß noch immer«, fahre ich fort. »Ein Zeitlimit war ja nicht vereinbart. Es stellte sich heraus, dass die Truppe als Schauspieler im London Dungeon arbeitete und jeden Freitag direkt nach Feierabend hier einkehrte. Daher die Maskerade und die seltsame Kluft.« Ich zeige Charline im Reiseführer das Horrorkabinett im historischen Stadtteil von Southwark. Auf diese Weise zaubere ich ein bisschen London Flair in meine Geschichte. Bisher fehlte irgendwie der örtliche Bezug. Der Flughafen, das Hotel, das italienische Restaurant, der Imbiss – all das hätte es auch anderswo gegeben. Das London Dungeon nicht. Hier wird der düstere Teil von Englands Geschichte präsentiert – in einem unterirdischen Verlies, mit dunklen Gängen und noch finstereren Ecken. Eine Schreckenskammer, in der in Wachs gegossene Folterknechte ihre Opfer malträtieren. Herausquellende Gedärme, verbranntes Fleisch, festgekettete Jammergestalten, glühende Roste, Hackebeile, Brech- und Stechinstrumente zum Quälen und Verstümmeln. Gliedmaßenquetschräder, Nagelzangen, Hautabzieher und Kniescheibenbohrer … All das und mehr ist dort zu bestaunen. Was für ein Segen, dass wir uns heutzutage mit Bußgeldern von unseren Alltagssünden freikaufen können. Nicht auszudenken, was noch von mir übrig wäre, wenn ich mit Leib und Seele für meine Vergehen herhalten müsste …
    »Ich war jetzt an dem Punkt angelangt, an dem mir das Sprechen schwerfiel, weil viel Fish und noch mehr Chips sich in meiner Speiseröhre bis in den hinteren Rachenraum aufstauten. Charline, ich war so satt, dass für mich feststand: Ich würde nie wieder essen, nie wieder auch nur an Essen denken. Troy hatte Mitleid mit mir. Er beschwor mich, aufzuhören. Aber du kennst mich. Eine Rita Engel gibt nicht auf. Als Peter Paul uns noch eine exklusive nächtliche Führung durch die Horror-Hallen versprach, falls ich alles wegputzte, kannte ich kein Erbarmen mehr mit meinem Magen. Peter hatte auf mich gesetzt, er sollte sein Geld bekommen und wir dafür den ultimativen Grusel-Kick. Er rasselte mit seinem Schlüsselbund und animierte mich damit zum Weiterschlingen. Ich schluckte bis auf den letzten Chips alles runter, was mir aufgetragen worden war. Auch wenn es nur einen Gewinner gab, jubelten die Verlierer mit. Ich behielt vorsichtshalber für den Moment die Lippen geschlossen. Selbst als mir der Wirt eine Medaille umhängte, bedankte ich mich nur mit einer anerkennenden Geste. Er servierte zum Abschluss einen selbst gebrannten Aufräumer , wie er ihn nannte. Der Fusel trug seinen Namen zu Recht. Ein widerliches Zeug, das meine Eingeweide in Brand steckte. Jeder andere hätte sich spätestens in diesem Moment übergeben. Ich hielt dicht. Aus Solidarität und zum Zeichen der Bewunderung tranken alle

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