Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
nicht so laufen.«
Außer sich, dass er die Schlüssel nicht fand, drehte er die Handtasche um und schüttelte sie. Ein paar lose Münzen und ihr Garagentoröffner purzelten heraus. Zuletzt kam ihr Handy, das über den Boden holperte und ein paar Schritte entfernt liegen blieb. »Wo zum Teufel sind sie?«, schrie er. Er kam auf sie zu, das Messer in der Hand. Marnie versuchte, vom Wagen zurückzuweichen, aber ihre Beine trugen sie nicht richtig, und jetzt packte er sie wieder und hielt sie mit erschreckender Wildheit fest.
So also hört alles auf
, dachte sie mit heftig hämmerndem Herzen. Was für eine blödsinnige Art, ums Leben zu kommen. Und dabei hatte sie noch gar nicht richtig gelebt.
»Ich brauche die Schlüssel«, schrie er sie an und sie spürte die Messerspitze an ihrem Bauch.
»Ich weiß nicht, wo sie sind«, stieß sie heraus. »Ehrlich, ich ...« Plötzlich ertönte in der Nähe ein Knall so laut wie ein Überschallknall und erschreckte sie. Max ließ ihren Arm los und zog sich zurück. Beide blickten auf und sahen Laverne auf sie zukommen, eine Pistole in der Hand, die sie nach oben gerichtet hielt.
»Das soll wohl ein Scherz sein«, sagte er.
»Verschwinde, du Dreckskerl«, gab Laverne zurück und marschierte so schnell, dass ihre Handtasche, die sie wie Queen Mum über dem angelegten Arm trug, wild schaukelte.
»Alte, scher dich um deinen eigenen Kram.«
Laverne schwenkte energisch die Waffe. Für eine Pistole war sie eher klein, auch wenn sie eindeutig viel Lärm machte. »Das ist mein Ernst.«
»Du wirst nicht auf mich schießen. Jetzt mal halblang!«, höhnte er. Marnie bemerkte, dass aus der offenen Tür des Gebäudes Leute spähten.
»Du machst wohl Witze. Ich wollte schon immer mal jemanden umlegen.« Sie winkte Marnie. »Komm zu mir her.« Marnie tat wie geheißen, die Hand an die Seite gepresst. Sie stellte sich erleichtert neben Laverne und begriff plötzlich, dass sie heute nicht sterben würde.
»Schau mal, Alte, ich habe keine Zeit für so was. Ich nehme den Wagen.«
»Halt oder ich schieße«, sagte Laverne, streckte den Arm aus und zielte auf ihn. Er zeigte ihr den Stinkefinger und beugte sich dann herunter, um Marnies Handtasche aufzuheben. Laverne senkte die Waffe ein Stück und drückte den Abzug. Bumm!
»Jesus!«, schrie er und fiel dann fast wie in Zeitlupe um. Er wiegte sich, sein Bein umklammernd, hin und her. »Du hast mich angeschossen, du verdammte Spinnerin.«
»Du hast auf ihn geschossen«, sagte Marnie benommen. »Ich kann es nicht fassen, dass du auf ihn geschossen hast.« Wie hatte all das während einer kurzen Toilettenpause geschehen können? Sie hatte das Gefühl, mit dem Einbiegen auf dieAusfahrt das reale Leben verlassen zu haben und in einen Film geraten zu sein.
Laverne legte den Kopf schief. »Ich habe ihn gewarnt. Du hast doch gehört, dass ich ihn gewarnt habe, oder?«
Marnie nickte. Laverne hatte ihn wirklich gewarnt.
»Und er hat mir den Mittelfinger gezeigt. Das kann ich nicht ausstehen. Es gibt keinen Grund, so was zu tun.« Sie beugte sich über Max, der weinend sein Bein umklammert hielt. »Du hättest mir nicht den Stinkefinger zeigen sollen. Das war unverschämt.« Sie bückte sich und hob etwas vom Asphalt auf. »He, Marnie, ich habe dein Handy gefunden!«
»Ich glaub’s einfach nicht. Sie haben auf mich geschossen. Jesus!«
Laverne streckte die Hand aus und berührte vorsichtig Marnies Seite. »Sieht aus, als würdest du bluten.«
»Er hat mir einen Stich versetzt.« Marnie musste die Worte herauszwingen. Schon der Anblick des Blutes machte sie benommen. »Mit einem Messer.«
Ein Mann kam vorsichtig aus dem Gebäude, entschied dann, dass die Gefahr vorüber war, und ging auf sie zu. »Ist alles in Ordnung?«, rief er. Er trug Khakishorts und ein Poloshirt wie ein Familienvater in der Vorstadt, der gleich den Grill anwerfen will. »Ist jemand verletzt worden?«
»Wir brauchen einen Krankenwagen«, meinte Laverne nüchtern und steckte die Pistole in ihre Handtasche zurück. »Wir haben hier einen Mann, der angeschossen wurde, und eine Frau mit einer Messerwunde.«
Max, der wütend und von Schmerzen gepeinigt auf dem Boden lag, jammerte: »Ich brauche Hilfe! Jemand soll den Notruf wählen.«
Marnie blickte von Laverne zu Max und auf das halbe Dutzend Leute, die scheinbar aus dem Nichts zu ihnen eilten. Alles schien zu verschwimmen. Schwindelig taumelte sie gegen den Wagen zurück, rutschte zu Boden und landete mit einem Stoß auf
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