Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
Pistole zurück?«, fragte Laverne.
»Nein, die bleibt bei uns«, antwortete er. »Sie können von Glück reden, dass wir keine Anklage gegen Sie erheben.«
»Okay«, meinte Laverne resigniert und dann, zu Marnie gewandt: »Wer hätte das gedacht? In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht einmal einen Strafzettel wegen Falschparken bekommen – und heute habe ich auf einen Mann geschossen und der Polizei geholfen, einen Kriminellen festzusetzen.« Sie legte Marnie die Hand fest aufs Knie. »Übrigens ist er überhaupt kein Kind. Er ist achtzehn und nach ihm wird gefahndet.«
»Gefahndet?«
»Es lag ein Haftbefehl gegen ihn vor«, erklärte der Polizeibeamte. »Das macht den Fall einfacher. Angesichts dieser Tatsache und der Zeugenaussagen, dass es Selbstverteidigung war, ist die Lage ziemlich eindeutig.«
»Dann können wir also gehen?«, fragte Laverne. »Wir müssen nämlich wirklich nach Las Vegas.«
»Sie können jetzt gehen, aber vielleicht werden Sie in Zukunft noch einmal zu einer Zeugenaussage vorgeladen. Allerdings ist das äußerst unwahrscheinlich«, fügte er mehr zu sich selbst hinzu.
»Wir können jederzeit zurückkommen, nicht wahr, Marnie?«
»Sicher«, antwortete Marnie, aber sie hatte nicht die geringste Absicht, je wieder hierher zurückzukehren. Sie war sich auch ehrlich gesagt nicht ganz sicher, wo sie sich im Moment befand. Alles, was sie wusste, war, dass sie mehr als tausend Meilen von zu Hause in einem Krankenhaus lag. Sie war wie Alice durch das Kaninchenloch in eine andere Existenz gerutscht. Eine Zeitlang war das ganz lustig gewesen, aber jetzt wollte sie es hinter sich bringen. Ein paar Tage Fastfood, Tankstellenstopps und endlose Fahrerei waren schlimm genug gewesen, aber jetzt, nachdem sie bedroht und mit einem Messer verwundet worden war, war sie müde, verletzt und zutiefst erschüttert. Vielleicht sagte das Universum ihr, dass diese Reise ein Fehler war. Sie wollte nur noch nach Hause. Wenn sie es erst einmal durch die Haustür geschafft hätte, würde sie ihren Koffer fallenlassen, ins Bett kriechen und erst zu Beginn des neuen Schuljahres wieder herauskommen. Falls überhaupt.
»Passen Sie auf sich auf, meine Damen«, sagte der Polizist und drückte Lavernes Schulter. »Gute Fahrt wünsche ich Ihnen.«
»Was für ein netter junger Mann«, meinte Laverne, nachdem er das Zimmer verlassen hatte. Sie hörten, wie seine Schritte sich durch den Korridor entfernten.
Marnie wartete, bis er außer Hörweite war, und fragte dann: »Wo hattest du eigentlich die Pistole her?«
»Sie hat meinem Mann gehört. Ich habe sie immer in der Handtasche aufbewahrt.« Sie spitzte nachdenklich die Lippen. »Ich hätte nie geglaubt, dass ich sie mal brauchen würde, aber heute? Junge, Junge! Heute war sie wirklich nützlich.«
»Das kannst du laut sagen«, gab Marnie zurück. »Ohne sie hätte alles viel schlimmer kommen können.«
»Und, Mädel, was sagt der Arzt Gutes?«, fragte Laverne und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett.
»Er hat gesagt, die Messerwunde wäre nicht besonders schlimm, obwohl sie schrecklich wehgetan und stark geblutet hat. Ich hatte Glück, dass das Messer nur durch die Haut und in eine Fettschicht geschnitten hat.« Zum ersten Mal war Marnie dankbar, dass sie ein wenig Fett auf den Rippen hatte. »Ich soll zur Beobachtung über Nacht hierbleiben. Die Testergebnisse sind gut, aber sie wollen mich morgen früh nochmal untersuchen, bevor sie mich entlassen.«
»Das ist nach dem, was du durchgemacht hast, wahrscheinlich keine schlechte Idee.« Laverne kramte in ihrer Handtasche und reichte Marnie ihr Handy. »Das hier willst du bestimmt haben.«
»Oh, du hast mein Telefon! Danke«, sagte Marnie. Das Display war ein wenig zerkratzt, aber ansonsten sah es funktionsfähig aus.
»Apropos, da fällt mir etwas ein. Vor einer Stunde hat Kimberly angerufen. Sie wollte, dass du sofort zu ihr kommst. Ich habe ihr erklärt, dass du im Krankenhaus liegst und so ...«
»Kimberly?«, fragte Marnie benommen. »Troys Mutter?«
»Keine andere.«
»Sie hat mich angerufen?«
»Na ja, sie wollte mit dir sprechen, aber da du nicht da warst, bin ich rangegangen, und sie musste mit mir Vorliebnehmen.« Laverne sprach langsam, als rede sie mit einem kleinen Kind.
»Du bist dir sicher, dass es Kimberly war?«
»Ich glaub, das haben wir jetzt geklärt, Marnie«, meinte Laverne ungeduldig. »Kimberly hat angerufen. Sie hat dich angerufen. Auf dem Handy. Weil sie will, dass du ihr
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