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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Ecken und Krümmungen verdunkelt), der die Scherben aufsammelte und sie sacht wieder zusammenfügte, ohne dass eine Fuge oder ein sichtbares Zeichen des Bruchs zurückblieb. Zita hatte Angst, dass der heilende Engel, der dem gemeinsamen Liebestraum diese Realität verlieh, eines Tages oder Nachts nicht mehr über sie wachen könnte und sie den beklagenswerten Unwirklichkeiten eines Imitationslebens, einer Imitationsliebe ins Gesicht sehen müssten.
    Als sie so an Theo dachte, sehnte sie sich noch mehr nach ihm, wie eine Gefangene sich nach ihrem Wärter sehnt, denn sie wusste, dass sie seine Gefangene war (obwohl sie sich oft dagegen auflehnte); ihr war bewusst, dass er sie nicht allein ausgehen lassen wollte und in Gesellschaft ständig an ihrer Seite blieb. Während der ganzen Zeit ihrer Ehe war sie nicht ein einziges Mal allein auf die Straße gegangen: Sie beide brüsteten sich damit; und sie war auch nicht allein einkaufengegangen und hatte keine Freunde besucht. Das war seine Entscheidung, seine Befehlsgewalt, seine Definition dieser Ehe. Sie empfand es nicht als sonderlich unangenehm, ein Besitzgegenstand zu sein wie eine menschliche Puppe, zu bekommen, was sie sich an Kleidung und Schmuck wünschte, und dann von Theo als «meine schöne junge Frau, meine Zita» zur Schau gestellt zu werden. Meine Zita, mein Spielzeug, meine Puppe, meine Prinzessin, meine Frau. Sie war die Spinne im Turm, die Spitzen von einem Ende ihrer Welt zum anderen klöppelte.
    Dem Wunsch, mit echten Diamanten und Perlen geschmückt zu werden, stellte sich jedoch ein praktisches Problem entgegen: Der Prinz war Dozent im Ruhestand, mit wenig Geld und wenig Sinn für Geld, weshalb er ständig Schulden hatte. Wenn Rechnungen kamen, sah Zita sie durch und legte sie dann mit der fast magischen Überzeugung beiseite, sie habe sie allein dadurch, dass sie sie in die Hand genommen und geprüft hatte, irgendwie auch schon bezahlt. Sie wusste, dass Theo gegenüber der Wirklichkeit einen ähnlichen Kunstgriff anwendete, indem er seine Philosophie des leichtsinnigen Umgangs mit Geld seiner Verfälschung der Umstände anglich; sie beide fanden ständig neue Ausreden dafür, dass sie sich kein eigenes Haus leisten konnten. Theos neueste Ausrede waren seine Vorfahren; da seine Ahnen alle «ein hohes Alter erreicht und irgendwann zu großem Wohlstand gelangt waren», blieb genug Zeit, um das Haus zu erwerben, das sie sich immer gewünscht hatten.
    «Schließlich», sagte er, «war einer meiner Vorfahren ein Mitschüler von Lord Byron.»
    Irgendwie trug diese Tatsache dazu bei, seinen leichtsinnigen Umgang mit Geld zu rechtfertigen.
    Zita hatte beobachtet, dass Theo, der von seinen Rettungen völlig in Anspruch genommen war, für die komplexen Gefühle der Geretteten eigenartig wenig Sensibilität besaß, und wenn sie hörte, wie er die Geschichte ihrer Rettung wiederholte, spürte sie, wie ihre Dankbarkeit durch dieses Wiederholen ausgehöhlt wurde und wie ihre Liebe, eingebettet in diese Dankbarkeit, sich dabei abnutzte, ihre Form und Beschaffenheit veränderte und unkenntlich zu werden versprach – oder drohte – und doch erhalten blieb, wie eine zerdrückte Muschel in einem Stein, die sich unweigerlich ihrer jeweiligen Umgebung anpasste.
    Ach, Theo, der Eroberer, der leichtsinnige Verschwender, hochwillkommener Gast in den meisten Häusern, der glänzende Vortragende, stets bereit, das aufregende, ausbalancierende Warum nicht? über das qualvoll unabänderliche Warum? triumphieren zu lassen. Theo, für den die Zeit eher Verbündete als Feindin war. Theo, der sich an die Geretteten band, indem er mit jedem in «Berührung» blieb. Für jemanden, der die Ordnung der Dinge derart infrage stellen konnte, zeigte er einen ungewöhnlichen Glauben an die Vorstellung, dass das Leben eine Reise und dass man seinem Ziel und der Erfüllung aller Träume umso näher ist, je länger man sich auf dieser Reise befindet; dass das Leben wie ein ausgetretener Weg oder Elefantenpfad oder Hundertmeterlauf ist. Und dennoch hatte er die Erosion zu seinem Lebenswerk gemacht – etwa die Erosion eines Berges, der sich nur der Zeit und der Witterung unterwarf und nie in dem Sinn reiste, dass er irgendwohin fuhr, und der doch langsam, Schicht um Schicht, seiner Existenz und Identität entkleidet wurde. Zita wusste, dass Theos Interesse an der Erosion kein rein akademisches war, und sie war ihm dankbar dafür, insbesondere seitsie in Kalifornien lebten, wo sie ganze

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