Auf dem spanischen Jakobsweg
Leonesen, vielleicht weil sie sich schon seit
zweitausend Jahren mit allen möglichen Eindringlingen herumbalgen müssen,
außerordentlich pfiffige Menschen seien. Offensichtlich gilt dies ganz
besonders für die Putzfrauen aus León. Wir bleiben sehr vergnügt, wir haben in
guter Verfassung León erreicht. So setzen wir uns auf den kleinen Platz vor dem
Kloster und strecken unsere Beine aus. Um aber vielleicht doch noch irgendein
Herz hinter den dicken Klostermauern zu erweichen, spielt Heinz auf seiner
Mundharmonika „Großer Gott wir loben dich“. Aber nicht einmal dies öffnet uns
die Klosterpforten.
Andere Pilger
kommen an, wir erklären ihnen, dass die Herberge wohl erst später geöffnet
werden wird. Niemanden stört das, alle werfen ihre Rucksäcke hin, trinken
kaltes Wasser vom Brunnen in der Mitte des kleinen Platzes vor dem Kloster und
machen schon mal Brotzeit. So werden wir allmählich etwa zehn Pilger, die hier
herumlungern.
Doch dann
kam der „Mürrische“. Wir hatten ihn schon einige Male auf dem Camino und in
Herbergen gesehen und wissen von ihm nur, dass er Brasilianer ist. Groß und
sehnig, ein Mann um die Fünfzig, ein typischer Einzelgänger, der auch in den
Herbergen kaum mal mit jemandem spricht. Beim Wandern sieht man ihm an, dass er
voller Energie steckt. Und er macht ständig ein betont mürrisches Gesicht. Das
hat ihm seinen Namen bei den deutschsprachigen Pilgern eingebracht. Als er
merkt, dass die Klosterpforte verschlossen ist, wendet er sich mit fragender
Gebärde an uns. Noch bevor wir große Erklärungen abgeben können, bedeutet ihm
Heinz, auch in der Gebärdensprache, er möge doch mal am Tor richtig kräftig
klopfen. Da wendet er sich wieder zur Klosterpforte hin, ballt beide Fäuste und
trommelt mit solcher Wucht auf das alte Holz, dass man Angst haben muss, nicht
nur die große historische Holzpforte könnte in tausend Stücke fliegen, sondern
dass gleich noch ein paar Nonnen — o weh, die Muslime sind wieder da — vor
Schreck aus der Kirchenbank fallen. Der „Mürrische“ aber trommelt völlig
ungerührt weiter. Nach kurzer Zeit hört man die schweren Riegel klacken — und
wir werden von einem freundlichen, besonders sanftmütigen Menschen,
wahrscheinlich männlichen Geschlechts, ins Frauenkloster hineingelassen. Dort
finden wir ein großes Matratzenlager und können uns ausbreiten.
Sobald der
Schweiß von unseren Körpern geduscht ist, laufen Heinz und ich hinaus in die
engen Gassen dieser märchenhaft alten Stadt. Die riesige hochgotische
Kathedrale Santa Maria de la Regia, im 13. Jahrhundert erbaut, ist, gemessen an
der Geschichte Leóns, ein ziemlich junges Gebäude. Vor ihr standen an ihrem
Platz in der Altstadt schon römische Thermen, danach ein Könispalast und schließlich
eine romanische Kirche. Drei Spitzbogentore, verziert mit unzähligen Figuren
und unter einer großen Fensterrose angeordnet, führen in das Kircheninnere.
Dort werden wir, vor allem jetzt, in der späten Nachmittagssonne, von
überwältigenden Lichtfluten empfangen, die von den riesigen Buntglasfenstern in
alle denkbaren Farbtöne zerlegt und vom Kircheninneren reflektiert werden. Die
schönsten Glasmalereien findet man im nördlichen Querschiff und in der Capilla
Mayor. Auch der Coro, der mich in der Kathedrale von Burgos irritierte, weil er
keinen Gesamteindruck vom dortigen Raumkörper zuließ, stört hier nicht,
vielleicht weil die Leonesen die Hinterwand des Chors durch eine Glasscheibe
ersetzt haben.
Nach einem
Rundgang durch diese schöne Kathedrale setzen wir uns in eine Kirchenbank,
strecken unsere müden Beine aus und lassen diesen Tag noch einmal an uns
vorbeiziehen. Wir sind heute, den Rundgang in Mansilla eingeschlossen, fast
vierzig Kilometer gelaufen. Plötzlich ertönt Orgelmusik und unterstreicht noch
die fast überirdische Schönheit dieser großen gotischen Kirche, harmonisch
gefügt aus Stein und Form und Licht und Farbe. Allein um diese Kirche zu sehen,
lohnen sich lange Fußwanderungen über Berg und Tal und durch die glühende Hitze
der Meseta. Aber dann regt sich bei uns der Durst, dieser ewige Wegbegleiter
der Pilger und wir setzen uns in ein Straßencafé um die Ecke und lassen uns
kühles Bier servieren.
„Jetzt haben
wir etwa zwei Drittel unseres Weges hinter uns und alles ist gutgegangen“,
plaudere ich vor mich hin.
„Ja, das
stimmt“, sagt Heinz „und die Meseta hat uns auch nicht geschafft“.
„Du hast ja
ganz am Anfang unserer Pilgerreise
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