Auf dem Weg zu Jakob
ist nämlich auch das Heiligtum in Jerusalem, wohin der 1119 gegründete Orden der Tempelritter Kreuzzüge unternahm, und wo er mit orientalischer Kultur und Wissenschaft in Kontakt kam. Die Templer waren fasziniert von Zahlensymbolik. So maßen sie auch dem Achteck magische Bedeutung zu.
Die Templer, die sich außer dem Experimentieren mit Mathematik und Alchemie dem Ausbau des Pilgerweges und dem Schutz der Pilger verschrieben hatten, waren bis zum 13. Jahrhundert sehr mächtig. Wird eine Gruppe zu mächtig, ist es den Machthabenden nicht selten ein Dorn im Auge, und so versuchten die Könige in Zusammenarbeit mit dem Papst die aufstrebenden Templer wieder loszuwerden. 1312 verbot man den Orden schlichtweg. Seine Mitglieder wurden der Ketzerei, der Hexerei und des Teufelsspuks bezichtigt und gnadenlos verfolgt.
Diese zierliche Kirche aus hellem Sandstein strahlt eine enorme Ruhe aus. Ich spaziere durch den die Kirche umgebenden, mit Bögen gesäumten Gang und habe großes Glück, denn ich bin allein hier. Ich trete in den kühlen Kirchenraum ein und setze mich auf eine der wenigen Holzbänke. Meine Augen müssen sich erst einmal an die Dunkelheit gewöhnen, denn Fenster hat der Raum nicht, nur Lichtschlitze, die mit dünnem Alabaster verschlossen sind. Hinter dem Altar befindet sich eine hölzerne Marienfigur mit Jesuskind. Beide Figuren sehen fast modern, freundlich und gutmütig aus, ohne dabei kitschig zu wirken. Man hat der Mama einen Strauß frischer Feldblumen in die Hand gedrückt und das Jesuskind, das auf dem Schoß der Mama sitzt, hält Mittel- und Zeigefinger hoch. Es sieht fast so aus, als würde das Kind Faxen machen. Unwillkürlich versuche ich, diesen Gruß zu erwidern, schaffe es aber nicht, meine beiden anderen Finger so gut nach unten zu biegen wie dieses Jesuskind es kann. Ich höre Schritte von draußen und entferne mich schnell aus dem Altarraum. Es wäre mir schließlich unangenehm, bei meinen Fingerübungen gesehen zu werden - obwohl, ich wette, dass wenn die anderen Leute hier allein im Raum sind, sie es bestimmt genauso machen.
Ein Fahrzeug kommt und parkt. Die Leute steigen aus, lassen aber die Türen weit auf und spielen auf ihrem Kassettenrecorder gregorianische Mönchsgesänge. Als ich allein war, war die Stille schöner. Diese Leute haben eine andere Vorstellung davon, wie sie die Kirche in Erinnerung behalten wollen.
Ich verlasse Eunate wieder über die von Pappeln gesäumte Stichstraße und radle entlang der nicht so stark befahrenen Straße Richtung Puente la Reina. Es sind jetzt noch ungefähr 6 km zum Tagesziel. Das Dorf Obanos lasse ich rechts liegen und fahre weiter. Der Ort ist bekannt für sein Laienschauspiel „El Misterio del Obanos“, das auf der Legende der heiligen Felicia aus Aquitanien basiert: Felicia pilgerte nach Santiago und beschloss auf dem Rückweg, fortan hier als Einsiedlerin zu leben. Ihr Bruder reagierte darauf ziemlich sauer und tötete sie im Affekt. Daraufhin pilgerte er selbst nach Santiago, um die Tat zu sühnen und ließ sich auf dem Rückweg selbst als Einsiedler nieder, tat Gutes, bewirkte das eine oder andere Wunder und erlangte so schließlich selber Heiligenstatus. Der Ort ging auch in die Geschichte ein durch seine Adligen, die im 13. Jahrhundert ein Komitee bildeten, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Macht des Königs zu begrenzen.
An der Einmündung der Straße in die verkehrsreiche N-111 steht seit 1965 eine moderne Pilgerstatue aus Bronze. Sie wurde als Zeichen dafür gestiftet, dass, zumindest nach dem Franzosen Picaud, der den ersten Pilgerführer, den Codex Calixtinus, verfasst hatte, ab hier nun alle Pilgerwege vereint sind. Es ist zwar richtig, dass an dieser Stelle die vier klassischen, aus Frankreich kommenden Pilgerwege vom Somport-Pass (über Jaca, Berdún, Ruesta, Sangüesa, Leyre) und vom Ibañeta-Pass (über Roncesvalles und Pamplona) aufeinander treffen, weshalb man hier auch vom Camino Frances, dem französischen Weg spricht.
Aber es gibt noch ein paar andere Pilgerwege, die erst viel später auf den Hauptweg treffen: beispielsweise den Camino del Norte entlang der spanischen Nordküste, der erst in Arzúa einmündet, oder den über Lugo führende Camino Primitivo, der sich bei Melide mit dem Camino Frances vereinigt, oder auch den sog. „Silberweg“ von Sevilla, den Via de la Plata, der erst in Astorga mit dem Hauptweg zusammentrifft ( Buchtipps auf dem Innenumschlag dieses Buches).
Nachdem ich in
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