Auf den ersten Blick
Bett gelegen und an die Decke gestarrt und darüber nachgedacht, was Abbey über Ziele gesagt hatte. Es kam mir nicht gerade vor, als hätte sie keins. Es kam mir eher vor, als hätte sie Tausende. Und damit will ich gar nicht sagen, dass sie sprunghaft oder zerstreut war, obwohl beides zufälligerweise zutrifft. Ich meine nur, ich konnte mir kaum vorstellen, dass jemand, der so voller Leben war, so voller Freude, so gar keine Träume haben sollte. Ehrgeiz war mir kein unbekanntes Wort. Sarah und ich waren ehrgeizig gewesen. Anfangs hatten wir unsere Ziele hochgesteckt, und sie kamen uns doch ach so erreichbar vor. Wir wollten ein, zwei Jahre so hart arbeiten wie möglich. Ich wollte Fachbereichsleiter werden, sie leitende Analystin. Wir wollten unser Geld sparen, Sarah würde ihre angepeilten Ergebnisse erreichen, wir wollten ihre Boni nur für Dinge ausgeben, die uns wirklich wichtig waren, wie Kurzurlaube in den Cotswolds oder ein Wochenende in New York. Das kleine Haus, das wir in Fulham gemietet hatten, würden wir zu einem Spottpreis kaufen, das ganze Ding weiß anmalen, das Badezimmer kacheln und es für sechzig Riesen über Wert verkaufen. Dann wollten wir ein Jahr Auszeit nehmen, nach Thailand fliegen, einen klapprigen, kanariengelben VW-Bus kaufen und uns in Südostasien zwölf sonnige Monate lang von Reis ernähren.
Dann: Phase 2 . Ausgeruht und weise würden wir ins Vereinigte Königreich heimkehren, und man würde Sarah anflehen, doch ihre Arbeit wieder aufzunehmen, und sie würde so etwas wie Seniorpartnerin werden und ihre neue, östliche Philosophie vor geschockten Gremien und beeindruckten Klienten erläutern, und ich würde meine Reisenotizen ausformulieren und einen Veröffentlichungs deal über drei Bücher und einen Posten als freier Redakteur bei einem Reisemagazin mit einem schicken, ätherisch klingenden Namen abstauben.
Aber was soll ich sagen? Es kam etwas dazwischen. Das Auto brauchte einen neuen Auspuff. Das Klappern, das wir eines Nachts für einen Einbrecher hielten, der mit seinem Schraubenschlüssel über unser Geländer ratterte, war in Wahrheit der rücksichtsvolle Abschiedsgruß eines unglücklichen Boilers. Ich wurde bei der Arbeit immer weiter in Konferenzen eingebunden, die Last auf meinen Schultern wurde schwerer, meine Träume entfernten sich immer weiter, bevor sie überhaupt näher gekommen waren, wir verbrachten Wochenenden in Whitstable, aber niemals in New York.
Wir beschlossen, uns eine Weile auf das Machbare zu konzentrieren: das Haus. Doch dann wurde Mrs Lampeter krank, ihr Sohn vertrat in der Folge ihre Interessen, und er überredete sie zu verkaufen. Er muss wohl dieselbe Folge von Haus und Hof gesehen haben wie wir, denn vier Monate später hatte das Haus weiße Mauern und ein frisch gekacheltes Bad und Laminatfußboden und wurde für sechzig Riesen über Wert angeboten.
Also zogen wir in den Londoner Norden, wo Sarah ihre Zielvorgaben nicht erreichte und man mich nicht zum Fachbereichsleiter ernannte.
Und dann hatte Sarah eines Tages eine Fehlgeburt.
Ich weiß.
Es tut mir leid.
Ich habe es bisher nicht erwähnt. Ich wollte Ihr Urteil nicht beeinflussen und auch nicht auf die Tränendrüse drücken. Denn Sie hätten nur noch daran gedacht. An nichts anderes mehr.
Macht der Umstand, dass Sarah eine Fehlgeburt hatte, das, was ich ihr angetan habe, noch schlimmer? Ja. Ja, natürlich tut es das. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich es Ihnen genau deshalb verschwiegen. Und nachdem wir hier nun unsere Karten auf den Tisch legen, nachdem es jetzt ans Eingemachte geht, hier nun das Schlimmste – das, was ich kaum zugeben mag, was ich an mir am meisten verachte. Selbstsüchtiger-, unverzeihlicherweise empfand ich ein wenig Erleichterung .
Mies, ich weiß. Ich fühle mich schon mies, wenn ich es nur zu Papier bringen muss. Aber auch ehrlich und aufrichtig, und ich hoffe, das stellen Sie mir in Rechnung, denn das zählt doch auch was, oder?
Wir hatten es nicht geplant. Wir stellten einfach eines Tages fest, dass sie schwanger war. Es folgte eine Woche der Panik, der Höhen und Tiefen, eine Woche der Planung.
Und einen Tag darauf – so schnell, wie es gekommen war – war es auch schon wieder vorbei.
Für Sarah änderte sich die Lage unwiederbringlich. Gab ihr einen Fokus. Führte ihr vor Augen, was sie wollte, was sie fast gehabt hätte, wie selbstsüchtig wir unser Leben gelebt hatten. Anfangs war sie am Boden zerstört, und ich war seltsam eifersüchtig auf
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