Auf den Schwingen des Adlers
Beschwerden zu erklären: Er hustete, und der Doktor nickte. Paul bekam Tabletten, wahrscheinlich Penicillin, und eine Flasche Hustensaft. Der Geschmack kam ihm erstaunlich bekannt vor, und er erinnerte sich plötzlich lebhaft an seine Kindheit: Er sah seine Mutter, wie sie ihm mit einem Löffel klebrigen Sirup aus einer altmodischen Flasche verabreichte. Dieses Zeug hier war genau das gleiche. Es linderte den Husten, aber seine Bronchien waren bereits angegriffen, und jedesmal, wenn er tief einatmete, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz.
Er hatte einen Brief von Ruthie bekommen, den er immer wieder las. Es war ein ganz normaler Brief voller Neuigkeiten. Karen ging in eine neue Schule und hatte Anpassungsschwierigkeiten. Das kannte er schon. Bei jedem Schulwechsel hatte sie ein paar Tage lang Bauchweh. Ann Marie, seine jüngste Tochter, nahm alles viel leichter. Ruthie erzählte ihrer Mutter immer noch, Paul käme in vierzehn Tagen nach Hause, aber allmählich wurde die Geschichte unglaubwürdig, denn aus den zwei Wochen waren inzwischen zwei Monate geworden. Ruthiewar ferner im Begriff, ein Haus zu kaufen, und Tom Walter half ihr bei den juristischen Einzelheiten. Wenn Ruthie seelisch litt, so schrieb sie jedenfalls nichts davon.
Keane Taylor war der häufigste Besucher im Gefängnis. Jedesmal gab er Paul ein Päckchen Zigaretten, in das er fünfzig oder hundert Dollar gestopft hatte. Paul und Bill benutzten das Geld, um sich Privilegien, wie zum Beispiel ein Bad, damit zu kaufen. Während eines Besuchs hatte der Wachmann für kurze Zeit den Raum verlassen, und Taylor händigte ihnen viertausend Dollar aus.
Bei einem anderen Besuch brachte Taylor Pater Williams mit. Williams war achtzig Jahre alt, und seine Oberen hatten ihm die Erlaubnis gegeben, Teheran der gefährlichen Lage wegen zu verlassen. Er hatte es vorgezogen, auf seinem Posten in der Katholischen Mission zu bleiben. Er erzählte Paul und Bill, die Situation sei nicht neu für ihn: Im Zweiten Weltkrieg sei er Missionar in China gewesen und habe die japanische Invasion und später die Revolution miterlebt, die Mao Tsetung an die Macht brachte. Er hatte selbst im Gefängnis gesessen und verstand daher, was Paul und Bill durchmachten.
Pater Williams’ Besuch gab ihnen ebensoviel Auftrieb wie der von Ross Perot. Dies galt besonders für Bill, der religiöser war als Paul und sich hinterher stark genug fühlte, um die Ungewißheit zu ertragen. Bevor Pater Williams ging, erteilte er ihnen die Absolution. Bill wußte nicht, ob er lebend aus dem Gefängnis kommen würde. Jetzt aber fühlte er sich sogar imstande, dem Tod ins Auge zu sehen.
Am Freitag, dem neunten Februar 1979, kam es im Iran zur revolutionären Explosion.
In wenig mehr als einer Woche hatte Khomeini zerstört, was von der rechtmäßigen Regierung noch übriggeblieben war. Er hatte das Militär zur Meuterei und die Parlamentsmitglieder zum Rücktritt aufgefordert. Trotz der Tatsache, daß Bakhtiar noch offiziell Premierminister war, hatte er eine Übergangsregierung ernannt.Seine Anhänger, die in Revolutionskomitees organisiert waren, hatten die Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Recht, Ordnung und Müllabfuhr übernommen und über hundert islamische Genossenschaftsläden in Teheran eröffnet. Am achten Februar demonstrierten in der Stadt mindestens eine Million Menschen für den Ayatollah. Die Straßenschlachten zwischen versprengten Einheiten regierungstreuer Soldaten und Banden von Khomeini-Anhängern tobten ununterbrochen weiter.
Am neunten Februar schossen Formationen von homafar und Kadetten auf zwei Teheraner Luftwaffenstützpunkten – Doschen Toppeh und Farahabad – Salut für Khomeini. Das brachte die Djawidan-Brigade, die ehemalige Leibwache des Schahs, dermaßen in Rage, daß sie beide Stützpunkte angriff. Die homafar verbarrikadierten sich und schlugen die regierungstreuen Truppen zurück, wobei sie von Massen bewaffneter Revolutionäre unterstützt wurden, die sich innerhalb und in der Nähe der Stützpunkte aufhielten.
Einheiten der marxistischen Fedajin und der islamischen Modjahedin eilten nach Doschen Toppeh. Sie erbrachen das Arsenal und verteilten die Waffen wahllos an Soldaten, Guerillas, Revolutionäre, Demonstranten und Passanten.
Nachts um elf kehrte die Djawidan-Brigade in voller Stärke zurück. Khomeini-Anhänger im Militär warnten die Rebellen von Doschen Toppeh vor der anrückenden Brigade, und die Rebellen gingen zum Gegenangriff über, noch
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