Auf den zweiten Blick
Toiletten und im Arbeitszimmer und auf der Veranda nach, ehe ich begriff, daß ich mich unnötig aufgeregt hatte. Ich hatte mir die Schritte nur eingebildet. Alex war noch nicht heimgekommen.
Nach diesem ersten Mal war Alex sechs Monate lang ein vorbildlicher Ehemann, mußt du wissen. Er vergaß nie, mich zu fragen, was ich an der Universität erlebt hatte; er richtete mir zum Geburtstag mein eigenes Labor auf unserem Grundstück in Bel-Air ein; er beauftragte einen Künstler, mich zu porträtieren, und hängte das Bild gegenüber dem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer auf, wo er mich, wie er sagte, immer im Auge behalten könne. Wenn ich einen Vortrag über die Hand hielt, begleitete er mich und klatschte lauter als alle anderen; für ein paar Monate stellte er sogar eine völlig überflüssige Sekretärin ein, die meine Vorträge planen und sammeln sollte. Nachts berührte er mich voller Ehrfurcht, und er drückte mich im Schlaf an sich, als habe er immer noch Angst, ich könne ihm weglaufen.
Wenn überhaupt, waren wir uns noch nähergekommen. Ich weiß, daß du das nicht verstehst, und ich kann es nicht besser erklären als so: Ich liebte Alex so sehr, daß es leichter war, mir von ihm weh tun zu lassen, als zusehen zu müssen, wie er sich selbst weh tat. Körperlicher Schmerz war nichts im Vergleich zu dem Blick in seine verschlossenen Augen, wenn er seinen eigenen Erwartungen nicht gerecht wurde.
Ich fürchtete mich nicht vor Alex, denn ich verstand ihn. Ich tat mein Bestes, damit zu Hause alles glatt und geräuschlos lief, so als könne ich auf diese Weise ein Fundament schaffen, auf dem er aufbauen konnte. Manchmal gingen meine Bemühungen nach hinten los - ich lieferte ihm einen Anlaß zu explodieren. Als ich einen Stapel mit Drehbüchern zur Seite schob, damit auf dem Schreibtisch Staub gewischt werden konnte, brüllte er mich eine Stunde lang an. Aber er berührte mich nicht, nicht im Zorn, zumindest eine Weile nicht.
Er drehte Unzulänglich, einen Film, über den ich nichts wußte, weil ich keine Zeit gefunden hatte, das Drehbuch zu lesen - der zweite Film, bei dem das so war. Wir wohnten vorübergehend im Apartment, weil ich die Wände neu tapezieren ließ und es einfacher war, dort zu schlafen, als jeden Morgen hinzufahren, um die Arbeiten zu überwachen. Alex kam zum Abendessen, nachdem Mrs. Alvarez den Tisch gedeckt hatte und über das Wochenende zu ihrem Sohn gefahren war.
Ich stand vor dem Tisch, als ich hörte, wie John den Wagen vorfuhr. Ich warf einen letzten prüfenden Blick auf den Tisch, streckte die Hand nach seinem Gedeck aus und brachte Messer, Gabel und Löffel in eine Linie.
»Hi.« Alex blieb hinter mir stehen und schlang die Arme um meinen Bauch. Er roch noch nach der Creme, mit der abends das Make-up entfernt wurde. Er hatte seine Sonnenbrille noch auf der Nase. »Was gibt’s zum Essen?«
Ich drehte mich in seinen Armen um. »Was hättest du denn gern?«
Alex lächelte. »Das fragst du noch?« Genüßlich begann er, mein Hemd aufzuknöpfen. »Ist dir nicht heiß?«
»Nein.« Ich lachte. »Ich habe Hunger.« Ich hob die Haube von der Servierplatte und ließ Alex den verführerischen Duft gedünsteter Erbsen und Hähnchen á la Kung Pao schnuppern. »Warum ziehst du dich nicht um?«
Alex ging nach unten ins Schlafzimmer, während ich Reis und Hähnchen und Gemüse auf unsere Teller häufte. Geduldig wartete ich, die Serviette auf dem Schoß, bis Alex zurückkam, nun in Shorts und einem hellblauen T-Shirt mit Tasche, das seine Augen zum Leuchten brachte. »Hast du meine Turnschuhe gesehen, pichouette?« fragte er.
Ich runzelte die Stirn und versuchte mich zu erinnern, wo sie standen. Ich hatte sie im Laufe des Tages irgendwo gesehen, inmitten von Pinseln und Eimern und Tapetenrollen.
»Ach ja«, rief ich aus, als es mir wieder einfiel. »Sie sind auf der Veranda.«
Die Veranda vor dem Apartment war eigentlich ein windgeschützter Patio oberhalb der unteren Wohnebene. Wir hatten dort unsere Pflanzen stehen sowie einen unglaublich häßlichen Holzindianer, von dem Alex nicht mehr wußte, wie er dorthin gekommen war. Alex ging zur Schiebetür, trat hinaus, entdeckte seine Turnschuhe und schlüpfte hinein.
Augenblicklich schüttelte er sie wieder ab und stieß eine Tirade französischer Flüche aus. Er hob einen Schuh an seine Nase, schnitt eine Grimasse und schleuderte ihn quer durch das Wohnzimmer. Der Schuh klatschte gegen die neue weiße Seidentapete und hinterließ einen
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