Auf den zweiten Blick
stieß mich in die Seite. Seine Brust hob sich vor Anstrengung. Ich rührte mich nicht; ich atmete noch nicht einmal. Ich konnte einfach nicht glauben, daß ich so etwas mit eigenen Augen sehen, am eigenen Körper erleben mußte. Nein, dachte ich, aber mir fehlten die Worte.
Als er mich von sich stieß, stürzte ich gegen das Bücherregal, und während ich zu Boden fiel, regneten Bücher und gläserne Briefbeschwerer um mich herum herab. Ich krabbelte rückwärts, um nicht getroffen zu werden, aber so landete sein Fuß genau in meinem Unterleib und warf mich auf die Seite. Ich schlug die Hände vors Gesicht und versuchte, mich so klein wie möglich zu machen - so klein, daß Alex mich nicht mehr sah, so klein, daß ich mich selbst vergessen konnte.
Erst als ich Alex über dem Pochen meines Körpers weinen hörte, wußte ich, daß es vorüber war. Er legte mir die Hand auf die Schulter und, Gott steh mir bei, ich drehte mich zu ihm um, vergrub mein Gesicht an seiner Brust und begann zu schluchzen. Ich suchte ausgerechnet bei jenem Menschen Trost, der mir all den Schmerz zugefügt hatte. Er wiegte mich auf seinem Schoß; er flüsterte, daß es ihm leid tue.
Als ich keine Tränen mehr hatte, stand Alex auf und ging ins Bad. Er kam mit einem Waschlappen zurück und wusch mir das Gesicht, die Nase, den Hals. Er steckte mich ins Bett und setzte sich auf die Kante. Als er glaubte, ich würde schlafen, begann er zu reden. »Das habe ich nicht gewollt«, murmelte er, und die Stimme versagte ihm dabei. Er begann wieder zu weinen; dann ging er nach nebenan und rammte seine Faust in die Wand.
Als ich vergangene Nacht zu bluten begann, sagte ich mir, daß es bloß meine Periode war. Ich kniff die Augen zu und flüstere diesen Satz wie ein Gebet vor mich hin, bis ich es selbst glaubte. Und vielleicht war es tatsächlich so: Ich wußte nichts über Abgänge, aber ich hatte eigentlich kaum Schmerzen - das allerdings vielleicht nur, weil in mir alles taub war.
Nur einmal, bevor es draußen hell wurde, gestattete ich mir, an dieses Wesen zu denken, das vielleicht einmal unser Baby geworden wäre. Ich beschloß, Alex nichts davon zu erzählen. Ich hatte keinen Anlaß dazu; er fühlte sich auch so elend genug. Als er aufwachte, schlug er die Decke zurück und betrachtete die blauen Schwellungen an meinen Armen und den lila Fleck auf meinem Bauch. »Nicht«, sagte ich leise, strich ihm über die Wange und sah ihm nach, als er, fast erdrückt von seinem schlechten Gewissen, ins Studio verschwand.
Aber nun war er wieder zu Hause, und wir sollten auf eine Premiere gehen. Ich drehte mich zu Alex um, der neben mir auf dem Bett lag. Er war eingeschlafen, nachdem Ophelia gegangen war, den Arm besitzergreifend über mich gelegt. Ganz sacht hob ich seine Hand, schlüpfte darunter hervor und ging in den Salon nebenan.
Ich hatte die Bücher und Briefbeschwerer am Morgen aufgelesen, aber ich konnte sie immer noch auf dem Boden liegen sehen. Benommen setzte ich mich auf das Sofa, nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Auf dem Bildschirm erschienen zwei verzerrte Tiere, ein Zeichentrickfilm. Das eine donnerte dem anderen einen Amboß auf den Kopf. Das zweite Tier lächelte, dann zersprang sein Leib und zerbröckelte, so daß nur noch das Skelett übrigblieb.
Es ist also überall so, dachte ich.
Alex kam ein paar Minuten später und setzte sich neben mich. Er küßte mich so liebevoll, daß ich mein Herz wie jenes Zeichentricktier vor mir sah - es zerbröckelte, bis nur noch der schmerzende Kern übrigblieb. »Kommst du mit mir?« fragte er.
Ich nickte; ich wäre über glühende Kohlen gewandert und hätte Feuer geschluckt, wenn Alex es von mir verlangt hätte. Ich hätte meine Seele für ihn hingegeben. Ich liebte ihn.
Ich weiß, daß du das kaum verstehen kannst, aber ich wußte genau, daß es nicht wieder vorkommen würde. Mir war klar, daß ich teilweise selbst schuld war. Es war meine Aufgabe, Alex glücklich zu machen; darauf lief das Gelübde hinaus, das ich vor über einem Jahr abgelegt hatte. Aber offenbar hatte ich etwas getan, das irgendwie das Gleichgewicht gestört und ihn in diesen Zorn getrieben hatte. Ich mußte nur herausfinden, was ich falsch gemacht hatte, dann würde er sich nie wieder so schlecht fühlen und es würde nie wieder soweit kommen.
Alex zog mich ins Schlafzimmer und half mir in ein hautenges, schwarzes Kleid, das an den Schultern tief ausgeschnitten war, meinen Körper aber ansonsten vom
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