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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Rivers«, sagte er. »Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.«
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich die Mannschaft alle Mühe gab, beschäftigt auszusehen, während sie die Szene beobachteten, die sich vor ihnen abspielte. »Cassandra Barrett«, antwortete ich. »Von der Universität von Kalifornien.«
    Seine Augen erstrahlten in einem Silber, wie ich es noch nie gesehen hatte. »Meine Anthropologin«, erklärte er. »Wie schön, Sie kennenzulernen.«
    Ich schaute auf den Schritt seiner Khakihose, wo sich ein Fleck in Form eines Schmetterlings gebildet hatte. Dann lächelte ich ihn an. »Das Vergnügen war ganz meinerseits.«
    Er lachte wieder, und ich merkte, daß ich den Laut in mein Herz zu schließen versuchte, damit ich mich später, wenn ich in meinem Zimmer liegen und der alte gelbe Deckenventilator über meinem Kopf rotieren würde, daran erinnern könnte. »Nennen Sie mich Alex«, sagte er. »Und ich besorge Ihnen ein Drehbuch, damit Sie wissen, was hier gespielt wird. Bernie!« rief er. »Komm her, ich möchte dir unsere wissenschaftliche Beraterin vorstellen.«
    Der Filmregisseur, der Alex wie ein Schatten folgte und dem jeder Wunsch seines Schauspielers Befehl zu sein schien, schüttelte mir höflich die Hand und entschuldigte sich dann, um nach jemandem zu suchen. Ganz offensichtlich war dies Alex Rivers’ Show. Er begann, auf mich einzureden, bevor mir die Bedeutung seiner Worte klar wurde. »Ich soll was ausgraben?« wiederholte ich. »Jetzt?«
    Alex nickte. »In der Szene, die wir heute nachmittag drehen, soll ich auf das Skelett stoßen. Ich meine, ich könnte instinktiv vorgehen, aber ich bin mir sicher, daß ich es nicht richtig machen würde. Es gibt doch eine Methode, nicht wahr? Man greift doch nicht einfach in den Sand und zieht einen Knochen raus?«
    Ich verzog das Gesicht. »Nein«, bestätigte ich. »Ganz bestimmt nicht.«
    Er hatte mich schon am Arm gepackt und schleifte mich zu dem klaffenden Loch, wo die meisten Funde in der Olduvai-Schlucht gemacht worden waren. »Ich möchte Sie einfach eine Weile beobachten«, sagte er. »Ich will sehen, wie Sie sich bewegen, wie Sie sich konzentrieren und so weiter. Ich brauche das.«
    »Vor allem brauchen Sie eine Plane«, meinte ich. »Wenn Sie wirklich auf einen bedeutenden Fund stoßen würden, müßten Sie die Ausgrabungsstelle mit einer schwarzen Plane überdachen, damit die Knochen, die Sie lokalisieren, nicht von der Sonne ausgebleicht werden.«
    Alex grinste mich an. » Genau deswegen wollte ich Sie dabeihaben«, sagte er. Er winkte zwei Männern, die ein bißchen abseits standen und eine Zeltstange aufrichteten. »Joe, Ken, könnt ihr eine Plane auftreiben und die Fläche hier überdachen? Sie muß –« Er sah mich kurz an. »Muß sie schwarz sein?«
    Ich zog die Achseln hoch. »Meine sind immer schwarz.«
    »Also schwarz.« Als die beiden Männer schon gehen wollten, rief Alex den einen namens Ken zurück. »Herzlichen Glückwunsch zu deiner kleinen Tochter«, sagte er. »Ich habe gehört, du hast es gestern abend erfahren. Wenn sie nach Janine kommt, wird sie eine wahre Schönheit.«
    Ken begann übers ganze Gesicht zu grinsen und lief dem anderen Bühnenarbeiter nach. Ich sah Alex groß an. »Ist er ein Freund von Ihnen?«
    »Eigentlich nicht«, antwortete er. »Aber er gehört zur Crew. Es ist meine Aufgabe, jeden in der Crew zu kennen.«
    Ich ging am Rand der Ausgrabungsstelle in die Hocke und fuhr mit der Hand durch den feinen Sand. Wenn er mich damit beeindrucken wollte, hatte er sich geschnitten. »Das ist unmöglich«, sagte ich. »Ich meine, hier sind mindestens hundert Leute.«
    Alex sah mich so eindringlich an, daß ich merkte, wie ich seinen Blick erwiderte, bevor ich das überhaupt wollte. Seine Stimme klang gepreßt und beherrscht. »Ich kenne den Namen von jedem hier und auch die Namen ihrer Frauen. Als ich noch als Barkeeper gearbeitet habe, habe ich gelernt, daß die Leute lieber kommen, wenn sie das Gefühl haben, sie werden beachtet. Ich habe ein gutes Gedächtnis, sie fühlen sich ernstgenommen, und das meiste wird deswegen doppelt so schnell erledigt.«
    Er redete, als wolle er sich verteidigen, als habe ich ihn provoziert, dabei hatte ich das überhaupt nicht beabsichtigt. Im Grunde war ich verunsichert. Der Mann, der über ein Stück Seil in Rage geraten konnte, war nur schwer mit dem Mann in Einklang zu bringen, der es für wichtig hielt, die Namen all seiner Mitarbeiter zu kennen. »Aber meinen Namen haben Sie

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