Auf den zweiten Blick
nicht gewußt«, wandte ich ein.
»Nein«, gab er zu, dann entspannte er sich. Er schenkte mir ein brillantes Lächeln. »Aber Sie haben dafür gesorgt, daß ich ihn nicht vergessen werde.«
Wir widmeten uns wieder unserer Aufgabe und knieten uns in die Grube. Ich zeigte Alex die verschiedenen Ausgrabungswerkzeuge, die weichen Pinsel, mit denen die Fossilien von Erdresten befreit werden. Ich versuchte, die Ausprägungen im Boden zu erklären, die auf die Existenz eines Fossils schließen ließen, aber das war ohne eine solide Ausbildung kaum zu verstehen. »So«, meinte ich und ging in die Hocke. »Viel mehr kann ich Ihnen nicht zeigen.«
»Aber Sie haben mir noch gar nichts gezeigt«, beschwerte sich Alex. »Ich muß zuschauen, wie Sie einen Schädel oder irgendwas ausgraben.«
Ich lachte. »In diesem Gelände nicht. Hier ist schon alles abgeräumt.«
»Dann tun Sie so«, drängte Alex. Er grinste. »Es ist ganz leicht. Ich verdiene mir mein Brot damit.«
Ich seufzte, beugte mich wieder vor und versuchte nach besten Kräften, ein imaginäres Knochenstück heraufzubeschwören. Ich begriff allmählich, warum mein Vorgänger sich verdrückt hatte. Alex Rivers mochte es leichtfallen, anderen etwas vorzuspielen, aber - wie er selbst gesagt hatte - er lebte auch davon. Ich verdiente mir mein Brot mit schlüssigen Beweisen und echten Funden, nicht mit hyperaktiver Phantasie. Ich kam mir wie eine Idiotin vor, als ich die obere rote Staubschicht zur Seite fegte und mit den Fingern über den holprigen Grund fuhr. Mit einer kleinen Hacke begann ich, im Kreis um einen nicht existenten Schädel herum zu graben. Ich löste die Erde mit den Fingern und wischte mir mit der Schulter den Schweiß von der Stirn.
Ich schloß die Augen und versuchte mir auszumalen, wie groß dieser eingebildete Schädel wohl sein mochte. Ich konnte ihn mir beim besten Willen nicht vorstellen; schon der Versuch kam mir lächerlich vor. Ich war zu lange darin ausgebildet worden, mit harten Fakten zu arbeiten, als daß ich mit Phantasiegebilden etwas hätte anfangen können. »Sehen Sie«, setzte ich zu einer Erklärung an, daß das hier einfach nicht mein Fall war.
Aber bevor ich weitersprechen konnte, ging Alex Rivers hinter meinem Rücken in die Hocke. Er griff über meine Schultern, beinahe wie in einer Umarmung, und legte seine Hände auf meine. »Nein, sehen Sie«, widersprach er mir und deutete mit dem Kinn auf den Fleck, an dem ich gegraben hatte. Ich blinzelte, und was eben noch Erde gewesen war, sah plötzlich aus wie Knochen. Ein Lichtreflex, dachte ich, eine Einbildung. Oder vielleicht einfach die Kraft von Alex Rivers’ Phantasie.
Noch nie war mir jemand wie er begegnet. Er kannte tatsächlich jeden; das wurde mir klar, als der Set zum Drehen vorbereitet wurde. Höflich führte er mich zu einem Stuhl neben seiner Assistentin Jennifer. Während er hinter der Kamera kauerte und mit Bernie Roth besprach, wie eine bestimmte Einstellung am besten gedreht werden sollte, frotzelte er immer wieder das männliche Double, das in der heißen Sonne schwitzte, während um ihn herum Scheinwerfer und Reflektorschirme aufgebaut wurden.
Er war überall zugleich; es war ermüdend, ihm auch nur zuzuschauen. Aber jedesmal, wenn ich in das Drehbuch auf meinem Schoß sah oder an den niedrigen Tisch mit den Storyboards schlenderte, spürte ich seinen Blick. Und wenn ich mich dann umdrehte, sah ich Alex Rivers, der mich aus zwanzig Meter Entfernung anstarrte, als sei ich der einzige Mensch weit und breit.
Die Szene, die sie drehten, war so, wie Alex sie geschildert hatte: Er als Dr. Rob Paley stößt auf ein Skelett, das er für die Überreste eines Hominiden hält. Bernie war auf den Kran mit der Panavisionskamera geklettert und ging mit Alex ein letztes Mal die Szene durch. »Du kommst ins Bild… gut so, ein bißchen langsamer… und kniest nieder, gut, genau so. Was machst du mit deinen Händen? Vergiß nicht, du hast seit mehr als drei Wochen Pech gehabt, und plötzlich stößt du auf Gold.« Alex stand auf und rief Bernie eine Frage zu, aber bevor ich ein Wort verstehen konnte, hatte der Wind sie verweht.
Schließlich war alles bereit zum Drehen. Die Leute mit den Walkie-Talkies standen in einer langen Reihe und riefen: »Ruhe!«, einer nach dem anderen, wie ein menschliches Echo. Der Kameramann murmelte: »Film läuft«, und der Tontechniker sagte, tief über seine elektronische Oase gebeugt: »Ton läuft.«
Sekunden bevor Bernie »Action« rief,
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