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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wieviel Mühe er sich gegeben hatte. Offensichtlich wollte er mich auf diese Weise um Verzeihung bitten. »Ich hatte einfach das Gefühl, benutzt zu werden.«
    Alex schaute auf. »Ich wollte Sie nicht verletzen. Ich habe versucht - ach Quatsch, es ist doch ganz egal, was ich versucht habe.«
    »Mir nicht«, platzte ich heraus.
    Alex sagte gar nichts. Er schaute über meine Schulter ins Leere und schüttelte den Kopf. Als er dann etwas sagte, sprach er so leise, daß ich mich vorbeugen mußte, um ihn zu verstehen. »Das Problem, einer der Besten zu sein, ist, daß man immer noch besser werden muß. Ständig ist man sein eigener Rivale.« Er sah mich an. »Können Sie sich vorstellen, wie es ist, eine Szene zu drehen, sich von jedem auf den Rücken klopfen und erklären zu lassen, wie großartig man war, und dabei zu wissen, daß man das nächste Mal und das übernächste Mal genauso gut sein muß?« Seine Augen glühten im Kerzenlicht. »Was ist, wenn ich nicht so gut bin? Was ist, wenn es beim nächsten Mal nicht mehr klappt?«
    Ich verknotete die Hände im Schoß, weil ich nicht wußte, was ich daraufsagen sollte. Offensichtlich hatte ich einen Nerv getroffen-Alex Rivers übertrieb nicht; er schien wirklich Angst zu haben, daß er dem Image, das er selbst geschaffen hatte, nicht mehr gerecht werden könnte.
    »Ich stehle den Menschen ihre Reaktionen - da haben Sie ganz recht. Auf diese Weise muß ich mich nicht selbst ausforschen. Wahrscheinlich wage ich es nicht, mich auf meine Erfahrungen zu verlassen, aus Angst, ich könnte eines Tages nach etwas suchen, auf das ich aufbauen kann, und entdecken, daß nichts mehr da ist.« Er lächelte schwach. »Und das kann ich mir nicht leisten. Außer Schauspielen kann ich nichts. Ich weiß nicht, was ich sonst machen sollte.« Er sah mich eindringlich an. »Ich weiß, daß das kein Trost ist«, sagte er. »Aber es tut mir leid, daß ich ausgerechnet Sie benutzt habe.«
    Ich hob die Hand, als wolle ich ihn berühren, überlegte es mir aber anders. Alex wurde rot, als er merkte, was er mir da anvertraut hatte. Ich senkte den Blick und wunderte mich, warum ich mich so verletzlich fühlte, obwohl er es war, der sich offenbart hatte.
    Die in Hollywood gängige Biographie Alex Rivers’, Copyright Michaela Snow, besagte, daß er in Tulane Schauspiel studiert hatte, nach L. A. gekommen war und als Barkeeper in einem Szenelokal gearbeitet hatte, als sich eines Abends ein großer Produzent vollaufen ließ. Alex hatte den Mann heimgefahren, und am Tag darauf ließ der Produzent ihn für eine Rolle vorsprechen. Der Film war Desperado. Alex bekam die Rolle und stahl den anderen Schauspielern die Schau. In der Branche war man der Meinung, Alex Rivers habe es immer leicht gehabt. Daß er, selbst wenn er nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen wäre, bestimmt eine zweite oder eine dritte Chance bekommen hätte.
    Es war schwer, Wunschbild und Wahrheit voneinander zu trennen, deshalb versuchte es Alex meist gar nicht. Er ließ seine Kindheit in einer Pfütze hinter dem Paramount-Gelände liegen und erschuf sich neu, bis er den mythischen Proportionen entsprach, in denen die Presse ihn zeichnete. Er war ein Workaholic - nicht des Ruhmes oder des Geldes wegen, sondern weil er sich selbst längst nicht so mochte wie die Filmfiguren, die er zum Leben erweckte. Er hätte sich niemals eingestanden, daß noch etwas von dem verletzlichen Jungen in ihm steckte, der er einst gewesen war. In Wirklichkeit war Alex der Bühne an der Uni höchstens dann nahe gekommen, wenn er, der Hausmeister, sie putzte. Nach L. A. war er per Anhalter auf einem Tiertransporter gelangt. Und er hätte Louisiana nie verlassen, wenn er nicht geglaubt hätte, daß er seinen eigenen Vater umgebracht hatte.
    Es war eine jener Wochen in New Orleans gewesen, in denen einen die Feuchtigkeit bei den Eiern packte und einem ihren fauligen Atem in die Lungen blies. Andrew Riveaux hatte drei Tage und Nächte in einem Hinterzimmer abseits der Bourbon Street durchgezockt, allerdings ohne daß es seine Familie gemerkt hatte. Alex hatte zuviel an der Universität zu tun, weil er endlich genug Geld verdienen wollte, um seine Mutter unterstützen und sich eine eigene Wohnung suchen zu können. Er war ohnehin kaum mehr zu Hause; die meisten Nächte verbrachte er in schmalen Wohnheimbetten, auf Einladung von Töchtern reicher Väter, die sein brütendes, aufbrausendes Temperament faszinierend fanden und die ein Abenteuer mit einem

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