Auf den zweiten Blick
oder auch von Leuten auf der Straße. Wenn sie es überhaupt bemerken, fühlen sie sich geschmeichelt. Noch keiner hat so darauf reagiert wie Sie.« Seine Stimme klang plötzlich weich, und ich war gespannt, wohin das wohl führte. »Sie überraschen mich«, fuhr er fort. »Und mich überrascht nur noch wenig.«
Ich betrachtete ihn so lange, bis der Lack und der Glanz abfielen und nur noch der Mensch darunter übrigblieb. »Na ja«, gab ich leise zu, »Sie haben mich ja auch überrascht.«
Der Korken schoß aus der Flasche, knallte gegen die weiche Zeltdecke und landete genau in meinem Schoß. Sekt schäumte über Alex’ Hände und auf seine Hose. » Sie werden sich meinetwegen noch die ganze Garderobe reinigen lassen müssen«, sagte ich.
Alex lächelte und schenkte mir ein. »Champagner gibt längst nicht so häßliche Flecken wie Papaya.« Er nahm sein Glas und stieß mit mir an. Das leise Klirren wehte im Wind davon.
»Wir sollten auf den Film anstoßen«, schlug ich vor.
»Nein.« Alex kam mir so nahe, daß ich sein Aftershave roch. »Wir sollten unbedingt auf Sie anstoßen.«
Ich beobachtete, wie er die Kristallflöte an die Lippen setzte, dann wandte ich den Blick ab und starrte in die flackernden Kerzen. Unsere Vorspeisen warteten unter zwei Silberhauben auf der Pritsche an der Zeltwand gegenüber. Auf einem klapprigen Regal standen zwei kleine Obsttörtchen. »Sie machen es mir nicht leicht, Ihnen böse zu sein«, bemerkte ich.
»Also«, antwortete er, »mache ich endlich doch was richtig.«
Ich errötete und schaute auf meinen Teller. Ich wünschte mir, er würde das Essen auftragen. Singen. Brüllen. Hauptsache, er sah mich nicht mehr so an.
Ich konnte mich allein anhand des Sonnenstandes in der Wüste zurechtfinden. Ich wußte, wie man einen Schädel wieder zusammensetzt, der in fünfzig Splitter zerbrochen ist. Ich konnte komplizierte Computerberechnungen durchführen, mit denen sich die Bedeutung bestimmter Knochenmaße entschlüsseln ließ. Aber ich konnte nicht entspannt mit einem Mann beim Essen sitzen.
Darin hatte ich einfach kaum Erfahrung. Und in keiner meiner heimlichen Phantasien waren die Fallgruben aufgetaucht, die sich jetzt immer wieder auftaten: die langen Augenblicke, in denen wir verlegen schwiegen, das laute Klirren des Löffels auf meinem Teller, Alex’ durchdringender Blick, der mir bis unter die Haut zu gehen schien. Ich mußte an die Heldinnen in den Romanen denken, die ich auf dem Flug nach Tansania gelesen hatte. Die meisten hätten schon längst ihr langes, wallendes Haar über die Schultern geworfen, ihre kirschroten Lippen geteilt und sich einladend über den Tisch gebeugt. Sie wußten alle, wie man mit Männern spielt und flirtet. Zumindest konnten sie ein Gespräch führen, ohne sich völlig zum Narren zu machen.
Aber Alex hatte keine Ahnung von Anthropologie, und ich wußte kaum etwas über Filme. Über das Wetter in Tansania zu reden war witzlos, weil es monatelang gleich blieb. Über den Flug wollte er nichts hören. Meines Zornes beraubt, mit dem ich mich auf der Herfahrt gewappnet hatte, hatte ich Alex Rivers sehr wenig mitzuteilen, wahrscheinlich überlegte er schon, warum er mich überhaupt zum Essen eingeladen hatte.
»Erzählen Sie, Cassandra Barrett -«
»Cassie«, verbesserte ich automatisch. »Sagen Sie Cassie zu mir.«
»Also Cassie. Erzählen Sie mir, wie Sie dazu gekommen sind, in der afrikanischen Wüste Steine zu klopfen.«
Dankbar stürzte ich mich auf das Thema. Endlich konnte ich etwas tun. »Ich war ein Wildfang. Ich habe immer gern im Dreck gespielt.«
Er ging zu einer flachen Holzkiste, die mir noch gar nicht aufgefallen war, und entnahm ihr zwei in Eis gepackte silberne Schälchen. »Einen Krabbencocktail?« fragte er.
Ich lächelte, als er mir eine Schale vorsetzte. »Wie haben Sie das bloß angestellt?« fragte ich kopfschüttelnd.
Alex spießte eine Krabbe auf seine winzige Gabel. »Wenn ich Ihnen das verraten würde, wäre es keine Zauberei mehr.«
Wir aßen schweigend, und ich beobachtete, wie das Kerzenlicht auf seinen Wangen tanzte und seine Haare zum Glänzen brachte. Es war golden, das war der richtige Ausdruck. Manchmal schaute ich ihn an und sah einen Mann, der mich nach meinen Kursen an der Universität fragte, und beim nächsten Atemzug et blickte ich Apoll persönlich.
Während des Hauptganges erwähnte Alex, daß er in der Nähe von New Orleans geboren worden war. »Mein Vater war Arzt, und meine maman, ach, sie war
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