Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
Narkosearzt rasch eine Übergabeliste zu diktieren«, sagte ich, und noch während ich das aussprach, erinnerte ich mich wieder, dass ich exakt die gleiche Antwort schon einmal gegeben hatte, gefolgt von der Frage, wieso sie die Lieferung nicht einfach liegen gelassen hatte. Das wiederum hatte zu einer elend langen gesäuselten Diskussion geführt, in die sich auch noch Marlene und Linda eingemischt hatten und an deren Ende Frau Zähler-Reißdorf beschlossen hatte, die nächsten zwei Wochen kein einziges Wort mehr an mich zu richten. Weil ich sie nach einer zermürbenden Viertelstunde »Frau Zäher-Reißwolf« genannt hatte. Unabsichtlich. Trotzdem war der Name »Reißwolf« bis zum Ende an der armen Frau hängen geblieben.
Mein Schweigen irritierte den Reißwolf. »Ich bin ja wirklich nicht pimmelig, aber hier geht es ums Prinzip!«
Mein erstes richtiges Déjà-vu. Mal schauen, ob es nicht auch anders ging.
Ich lächelte den Reißwolf an: »Ich möchte mich für mein unkollegiales Verhalten entschuldigen. Und mich für die Arbeit bedanken, die Sie in der Zwischenzeit für mich erledigt haben. Das war wirklich sehr nett von Ihnen.«
Der Reißwolf war merklich aus dem Konzept gebracht. Ich wartete nicht ab, bis er sich erholt hatte, sondern begann in der Illustrierten zu blättern, die auf Lindas Tresen lag. Marlene hatte sich bereits an ihren Schreibtisch begeben, und Linda besprühte sich mit einem ätherischen Ölemix, um den Uringeruch zu überdecken, von dem sie behauptete, er wäre gar nicht da. Für ein paar Sekunden roch es nach Lavendel und Rosmarin mit einer leichten Windeleimernote, dann wieder nur nach Pipi.
»Das Baby muss in den nächsten Wochen kommen«, sagte Linda und zeigte auf ein Bild von Tom Cruise und Katie Holmes. »Eine Freundin von mir hat gependelt, dass es ein Junge wird.«
»Nein«, widersprach ich energisch. »Es wird ein Mädchen. Und es heißt …« Mist, wie hieß das arme Kind noch gleich? Sari … Uri … »Suri!«, rief ich.
Linda starrte mich entzückt an. »Hattest du gerade so etwas wie ein Channeling?«
»Ein was?«
»Jemand aus der geistigen Welt, wahrscheinlich einer deiner geistigen Führer, hat dir vielleicht gerade den Namen des Kindes verraten«, flüsterte Linda begeistert. »Suri.«
»Nein, ich denke, das können wir mit Sicherheit ausschließen. Warum sollte mein geistiger Führer so was tun? Ich meine, wen interessiert überhaupt, wie das blöde Balg von denen heißt?« Ich blätterte hastig weiter und hoffte, dass Linda das Thema wechseln würde. Was sie nicht wirklich tat, denn sie fing an über mediale Fähigkeiten und – da kam ich nicht mehr ganz mit – Einhörner zu sprechen. Mitten in ihrem nächsten Satz wurde sie aber von der Blutgräfin unterbrochen, die zur Tür hereingerauscht kam und mit ihr eine Duftwolke von »Jil Sander«, gegen die selbst der Uringeruch keine Chance hatte.
»Kati, was machst du denn schon hier? Solltest du nicht noch bis nächste Woche zu Hause bleiben?«
»Meine Cousine hat schon drei Tage nach ihrer Blinddarm-OP am Köln-Marathon teilgenommen«, meldete sich der Reißwolf aus seiner Ecke in verächtlichem Tonfall. »Das ist doch heutzutage keine große Sache mehr.«
»Ach, tatsächlich?« Die Blutgräfin sah mich an, als missbillige sie ganz und gar, dass ich erst jetzt gekommen war, obwohl ich doch schon vor drei Tagen einen Marathon hätte laufen können.
Und sie schnalzte.
»Vielen Dank für die wunderschönen Blumen, Gabi«, beeilte ich mich zu sagen.
»Blumen?« Gabi sah irritiert aus. »Was für Blumen?«
»Die, die ich in deinem Namen ins Krankenhaus geschickt habe«, sagte Linda und sah Gabi verschwörerisch an. Ich tat so, als merkte ich nichts, und schlenderte zu meinem Schreibtisch hinüber. »Mit Besserungswünschen von uns allen.«
»Ach? Ja, dann, gern geschehen«, sagte Gabi. »Und schön, dass du wieder da bist. Ich hätte da gleich einen sehr interessanten Auftrag für dich. Ein Existenzgründerseminar für eine wirklich spannende Franchise-Idee, Samstagnachmittag.«
Derjenige, der zum ersten Mal anstelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation.
Sigmund Freud
Marlene räusperte sich, und ich setzte mein strahlendstes Lächeln auf. »Liebend gern würde ich das Seminar übernehmen, Gabi, gleichzeitig ist es mir wegen eines sehr wichtigen anderen Termins am Samstag nicht möglich.« Mit einem bedauernden Seufzer ließ ich mich auf meinen
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