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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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über den Rücken.
    Vielleicht habe ich, vielleicht haben wir Kinder, deren Väter nicht Hausmeister waren, sondern im Krieg oder sonst im Kriegsdienst und in Uniform, Hansi Jauernik manchmal auch etwas herablassend gehänselt und seinen Namen Jauernik in Eiernik verballhornt. Wir Kinder nannten uns meist mit Familiennamen, also nicht »Hellmuth« oder »Hansi«, sondern »Jauernik« und »König« und »Karasek«.
    Eines Tages, als ich aus der Schule kam, hörte ich, dass Hansi Jauernik tot sei. Ganz plötzlich gestorben. Er habe morgens tot im Bett gelegen. Keine Krankheit, kein Unfall. Nur tot. Und ich habe ihn dann gesehen, aufgebahrt im Schlafzimmer, dessen Fenster zur Straße hinausging. Es war ein sehr heißer Sommertag, Hansi lag da, auf dem Rücken, der kleine Kopf riesengroß, und als ich ihn sah, war ich so fassungslos erschrocken, nein, nicht erschrocken, sondern verstört, weil etwas Unfassbares geschehen war, das ich weder begreifen noch einordnen konnte. Hansis Gesicht war talgig, leicht gelblich, und darüber war ein feiner Gazestreifen gelegt, der an einigen Stellen seine Wangen berührte. Und als ich ihn ansah, den gleichaltrigen Freund, der mich im Stich gelassen hatte, da sah ich, wie eine Fliege über sein Gesicht kroch, über den Gaze-Schleier, und wie sie an die Stelle kam, wo der weiße, durchsichtige dünne Stoff seine dicken runden Wangen berührte. Und ich dachte: Das muss ihn doch kitzeln, aber ich habe die Fliege nicht mehr verscheucht. Mir fielen die gequälten Augen von Kühen und Pferden ein, wenn sich die hochsommerlichen Fliegen, das Geschmeiß, in ihnen festsetzen und festsaugen wollen. Ich habe später Fliegenscharen gesehen, die sich auf Pferdekadaver in Gräben stürzten, aufgehängte Soldaten anfielen, die ein Schild um den Hals hatten »Ich bin ein Verräter!«. Noch später habe ich gelesen, wie sich die Fruchtfliegen im April über die Fäkalien und die Vegetarier-Küchenabfälle des Reichskanzleibunkers in Berlin hergemacht haben.
    Als Hansi Jauernik starb, wusste ich noch nichts vom tausendfachen, vom millionenfachen Tod, obwohl ich doch Tag für Tag vom Tod gesungen habe.
    Im Sommer 1943 kam ich ins »Deutsche Jungvolk«, das heißt: Ich wurde als Pimpf in die Kinderabteilung der »Hitler-Jugend« zu den Zehn- bis Vierzehnjährigen »eingezogen«, denn für das Jungvolk bestand für Jungen ebenso Dienstpflicht wie für die Mädchen im »Jungmädelbund«. Da ich noch keine zehn war, nehme ich an, dass mich meine Eltern als vorbildliche Parteigenossen der NSDAP freiwillig vorzeitig zum DJ geschickt haben, aber vielleicht hing das auch damit zusammen, dass ich vorzeitig auf die Oberschule gekommen war.
    Der »Dienst« war Mittwochs und Samstags am Nachmittag. Ich ging dazu über die Bialka nach Biala, wo sich das Jungvolk auf einem Schulhof traf. Wir wurden in Horden, Jungenschaften, Jungzüge und Fähnleins sortiert, ein Spiegelbild militärischer Formationen. Wir sollten schwarze kurze Hosen, ein Braunhemd, ein durch einen braunen Lederknoten zusammengehaltenes schwarzes Halstuch und weiße Kniestrümpfe als Uniform tragen. Unsere Vorgesetzten, Jungzugführer wie Fähnleinführer, trugen geflochtene Schnüre, die von den Achselklappen zur Brust gingen und »Affenschaukel« genannt wurden. Die Uniformen waren 1943, also im vierten Kriegsjahr, nicht mehr ganz perfekt. Statt der braunen Hemden, die nicht mehr alle bekamen, durften auch weiße getragen werden, viele Strümpfe waren eher grau als weiß. Die Affenschaukeln, die das System von Befehl und Gehorsam stützten, gab es immer: Ich erinnere mich noch an die rotweißen Fähnleinführer-Schnüre, an grüne und weiße, und dass ich keinerlei Ehrgeiz empfand, eine Schnur zu tragen, aber vielleicht war ich einfach nur zu jung und wusste, dass meine Stunde noch nicht geschlagen hatte.
    Wir standen auf dem staubigen Schulhof mit dem totgetretenen Rasen herum, mussten in Reih und Glied antreten, stillstehen, die Augen auf Befehl nach rechts oder links drehen, wobei wir den Hals ruckartig bewegten, nach rechts und nach links. Ich habe dieses Exerzieren weder angenehm noch unangenehm in Erinnerung, es war eher ein langes Zeittotschlagen, bei dem wir Kinder durcheinanderwuselten, um dann in Formationen nach Größe Aufstellung zu nehmen und uns durchzuzählen. Diese Nachmittage gehörten zu jener nicht enden wollenden toten Kinderzeit, aus der man nicht einmal in träge Wachträume flüchten konnte.
    Endlos war auch das

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