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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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vermeiden suchte.
    »Wie ähnlich er seiner Mutter sieht«, sagte sie.
    »Aber Sie haben ja meine Nichte nur auf der Photographie gesehen«, fiel mein Onkel ihr rasch und eher unfreundlich ins Wort.
    »Verzeihen Sie, lieber Freund, ich bin ihr im vorigen Jahr, als Sie so krank waren, auf der Treppe begegnet. Ich habe sie allerdings nur eine Sekunde gesehen, und es ist ja auch sehr dunkel in Ihrem Treppenhaus, aber es hat mir genügt, um sie zu bewundern. Dieser junge Mann hier hat ihre schönen Augen und auch das hier«, sagte sie, während sie mit dem Finger eine Linie über den unteren Teil ihrer Stirn zog. »Heißt Ihre Frau Nichte eigentlich ebenso wie Sie, lieber Freund?« fragte sie meinen Onkel.
    »Er sieht vor allem seinem Vater ähnlich«, brummte mein Onkel, dem ebensowenig daran lag, jemanden »in absentia« vorzustellen, indem er den Namen meiner Mutter nannte, wie es direkt zu tun. »Er ist ganz sein Vater, und auch meiner lieben Mutter sieht er sehr ähnlich.«
    »Ich kenne seinen Vater nicht«, sagte die Dame in Rosa mit einer leichten Neigung des Kopfes, »und ichhabe auch Ihre verstorbene Frau Mutter nicht gekannt, mein Freund. Sie erinnern sich, es war gerade nach Ihrem großen Kummer, als wir uns kennenlernten.«
    Ich erlebte eine kleine Enttäuschung, denn diese junge Dame war nicht anders als die anderen hübschen Frauen, denen ich manchmal im Kreise meiner Familie begegnet war, nicht anders als namentlich die Tochter eines unserer Vettern, den ich jedes Jahr zum ersten Januar besuchte. Nur besser gekleidet als diese, hatte die Freundin meines Onkels den gleichen lebendigen und freundlichen Blick, sie sah ebenso freimütig und liebevoll in die Welt. Ich entdeckte nichts an ihr von der theatralischen Aufmachung, die ich auf den Photographien der Schauspielerinnen so sehr bewunderte, oder von irgendeinem diabolischen Ausdruck, der etwa mit ihrer mutmaßlichen Lebensführung hätte in Zusammenhang stehen können. Es fiel mir schwer zu glauben, daß dies eine Kokotte sei, und vor allem hätte ich sie nicht für eine elegante Kokotte gehalten, wenn ich nicht den Wagen mit den beiden Pferden, das rosa Kleid, das Perlenkollier gesehen und nicht gewußt hätte, daß mein Onkel nur die Creme dieser Art von Frauen bei sich sah. Doch ich fragte mich, wie der Millionär, der sie mit Wagen, Haus und Juwelen bedachte, Vergnügen daran finden konnte, sein Geld mit einem Wesen durchzubringen, das so einfach und anständig wirkte. Und doch, wenn ich mir vorstellte, welches wohl ihr Leben sein mußte, so erschien mir dessen unmoralischer Charakter vielleicht noch verstörender, als wenn er sich vor meinen Augen in greifbarerer Form gezeigt hätte – gerade weil er so unsichtbar blieb wie das Geheimnis hinter einem Roman oder irgendeinem Skandal, der jene aus dem Kreis ihrer bürgerlichen Familie vertrieben, sie der Allgemeinheit überantwortet, ihre Schönheit zur Entfaltung gebracht und sie bis zur Halbwelt und zur Berühmtheiterhoben hatte, deren Mienenspiel und Tonfall so vielen mir bereits bekannten glichen und die mich doch wider meinen Willen sie als ein junges Mädchen aus guter Familie betrachten ließen, die keiner Familie mehr angehörte.
    Wir waren inzwischen in das »Arbeitszimmer« hinübergegangen, und mein Onkel bot ihr mit einer Miene, die meiner Anwesenheit wegen etwas befangen war, Zigaretten an.
    »Nein«, sagte sie, »Lieber, Sie wissen ja, ich rauche nur die, die der Großfürst mir schickt. Ich habe ihm gesagt, Sie seien eifersüchtig deshalb.« Mit diesen Worten zog sie ein Zigarettenetui hervor, das mit fremdartigen goldenen Schriftzeichen bedeckt war. »Aber doch!« fing sie plötzlich noch einmal an. »Ich muß den Vater dieses jungen Mannes hier bei Ihnen getroffen haben. Ist er nicht Ihr Neffe? Wie konnte ich das nur vergessen? Er war so liebenswürdig, so taktvoll zu mir«, fügte sie mit einer Miene zarter Bescheidenheit hinzu. Wenn ich mir vorstellte, was das für eine brüske Art von seiten meines Vaters gewesen sein mochte, die sie jetzt als taktvoll hinstellte – denn ich kannte ja seine Zurückhaltung und Kälte –, war mir, als handle es sich um eine von ihm begangene Unhöflichkeit, der unangemessene Abstand zwischen ihrer überschwenglichen Dankbarkeit und seiner wenig liebenswürdigen Art außerordentlich peinlich. Späterhin habe ich den Eindruck gewonnen, es sei eine der rührenden Seiten der Rolle, die diese müßigen und doch so eifrig bemühten Frauen spielen, daß

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