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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Überhaupt ist das Mondäne nicht eben meine Stärke.«
    »Ach! Und ich dachte das Gegenteil«, sagte Bloch in dem Glauben, die Herzogin habe ihre Worte ernst gemeint.
    Zur Verzweiflung von Norpois fuhr er fort, ihm eine Reihe von Fragen über die Dreyfus-Affäre zu stellen; dieser erklärte, daß »auf den ersten Blick« Oberst du Paty de Clam ihm den Eindruck eines etwas wirren Kopfes mache, der vielleicht nicht ganz glücklich ausgewählt sei, um eine delikate Angelegenheit zu führen, die so viel Kaltblütigkeit und Unterscheidungsvermögen erfordere wie eine gerichtliche Untersuchung.
    »Ich weiß, daß die Sozialisten mit Pauken und Trompeten seinen Kopf verlangen, ebenso wie die sofortige Freilassung des Gefangenen auf der Teufelsinsel. Aber ich meine, wir sind noch nicht so weit, daß wir derart unter dem kaudinischen Joch von Monsieur Gérault-Richard 1 und Konsorten durchgehen müßten. Bisher ist diese Affäre klar wie dicke Tinte. Ich will nicht behaupten, es gäbe nicht auf beiden Seiten ziemlich üble Schandtaten zu kaschieren. Daß auch einige mehr oder weniger selbstlose Fürsprecher Ihres Schützlings gute Vorsätze haben können, will ich nicht bestreiten, aber Sie wissen ja, daß der Weg zur Hölle damit gepflastert ist«, setzte er mit einem verschmitzten Blick hinzu. »Wesentlich für die Regierung ist, das Gefühl zu vermitteln, sie befinde sich weder in den Händen der Linksparteien, noch sei sie auf Gnade und Ungnade den Forderungen irgendeiner Prätorianerarmee ausgeliefert, die, glauben Sie mir, die wahre Armee nicht ist. Es versteht sich von selbst, daß, wenn eine neue Tatsache zum Vorschein käme, ein Revisionsverfahren eingeleitet würde. Die Folge davon ist evident. Es zu fordern hieße offene Türen einrennen. An diesem Tag müßte die Regierung laut und deutlich ihre Stimme erheben oder ein für allemal auf das verzichten, was ihre wesentliche Prärogative ist. Sophistereien nützen dann nichts mehr. Man muß Dreyfus Richter geben. Das wird auch zu machen sein, denn obwohl man in unserem holden Frankreich, wo man so gern sich selbst schlechter macht, als man ist, die Gewohnheit angenommen hat zu meinen, oder die Meinung zu verbreiten, man müsse, um den Worten Wahrheit und Gerechtigkeit Nachhall zu verschaffen, den Kanal überqueren – was oft nur ein verkapptes Mittel ist, sich an die Spree zu begeben –, gibt es Richter nicht nur in Berlin. 2 Aber werden Sie auch, wenn die Regierung dann handelt, dieser Regierung folgen? Wenn die Regierung Sie auffordern wird, Ihre Bürgerpflicht zu erfüllen, werden Sie dann auch ihre Stimme hören und sich geschlossen hinter sie stellen? Werden Sie auch nicht taub sein gegen ihren Appell an das patriotische Gewissen, sondern laut mit ›Hier‹ antworten?«
    Norpois stellte Bloch diese Fragen mit einem Ungestüm, das meinen Kameraden gleichzeitig einschüchterte und ihm schmeichelte, denn der Botschafter tat, als wende er sich in ihm an eine ganze Partei, er befragte Bloch, als genieße dieser das Vertrauen jener Partei und könne die Verantwortung für die Entscheidungen übernehmen, die dort getroffen würden. »Wenn Sie dann nicht abrüsteten«, fuhr Norpois fort, ohne die kollektive Antwort Blochs abzuwarten, »wenn Sie, bevor noch die Tinte des Dekrets trocken ist, das das Revisionsverfahren einleiten wird, auf irgendwelche Einflüsterungen hin doch nicht abrüsteten und in einer unfruchtbaren Opposition verharrten, die gewissen Elementen als ultima ratio der Politik erscheint, wenn Sie sich in Ihre Zelte verkriechen und Ihre Schiffe verbrennen würden, so wäre es zu Ihrem eigenen Verderben. Sind Sie denn an der Leine derjenigen, die den Umsturz begünstigen? Haben Sie ihnen ein Pfand in die Hand gegeben?« Bloch war in Verlegenheit, was er antworten solle, Norpois ließ ihm dazu gar keine Zeit. »Wenn das Gegenteil wahr ist, wie ich gern annehmen will, und wenn Sie ein wenig von dem besitzen, was leider so manchen Ihrer Führer und Freunde abzugehen scheint, nämlich politischen Sinn, werden Sie am gleichen Tage, da die Sache der Strafgerichtskammer vorgelegt ist, wofern Sie sich nicht von denen umgarnen lassen, die gern im Trüben fischen, gewonnenes Spiel haben. Ich will nicht behaupten, daß der gesamte Generalstab aus der Sache heil herauskommen wird, aber es wäre ja schon sehr gut, wenn er zum Teil wenigstens das Gesicht behielte, ohne Öl ins Feuer zu gießen und den Hader zu schüren. Es versteht sich im übrigen von selbst, daß

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