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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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es an der Regierung ist, Recht zu sprechen und die allzu lange Liste der ungeahndeten Verbrechen abzuschließen, gewiß nicht auf den Druck hin, der von sozialistischen Kreisen oder irgendeinerSoldateska ausgeübt wird«, fügte er hinzu, indem er Bloch in die Augen blickte, vielleicht von dem Instinkt aller Konservativen geleitet, sich Unterstützung im feindlichen Lager zu sichern. »Die Aktion der Regierung muß ohne Rücksicht auf alle Angebote durchgeführt werden, woher diese auch kommen mögen. Die Regierung steht gottlob unter der Befehlsgewalt weder des Obersten Driant 1 noch – am entgegengesetzten Pol – von Monsieur Clemenceau. 2 Man muß die gewerbsmäßigen Provokateure endgültig matt setzen und sie daran hindern, wieder das Haupt zu erheben. Frankreich verlangt in seiner überwältigenden Majorität nach Arbeit und nach Ordnung! In dieser Hinsicht gibt es keinen Zweifel für mich. Doch darf man nicht Angst davor haben, der öffentlichen Meinung Aufklärung zuteil werden zu lassen, und wenn einige Hammel von der Sorte, die unser Rabelais 3 so gut kannte, sich kopfüber ins Wasser stürzen sollten, täte man gut daran, ihnen zu zeigen, daß dieses Wasser mit Absicht von einer Brut getrübt worden ist, die nicht aus unserem Lande stammt, um die gefährlichen Untergründe dadurch den Blicken zu verschleiern. Die Regierung darf nicht den Anschein erwecken, als trete sie nur in äußerster Notwehr aus ihrer Passivität heraus, wenn sie schließlich und endlich das Recht ausübt, das ihr ihrem Wesen nach zusteht, nämlich die Dame Justitia in Bewegung zu setzen. Die Regierung wird auf alles hören, was Sie ihr nahelegen. Wenn eindeutig feststeht, daß ein Justizirrtum vorliegt, wird sie eine erdrückende Mehrheit für sich haben, die ihr freie Hand verschafft.«
    »Sie, Monsieur«, sagte Bloch, indem er sich an d’Argencourt wandte, dem er gleichzeitig mit den übrigen Anwesenden vorgestellt worden war, »sind doch sicher für Dreyfus; im Ausland ist man es allgemein.«
    »Das ist doch eine Angelegenheit, die nur die Franzosen unter sich angeht, nicht wahr?« antworteted’Argencourt mit jener besonderen Art von Insolenz, bei der man dem anderen eine Meinung unterschiebt, von der man ganz offenbar weiß, daß er sie nicht teilt, da er ja soeben eine diametral entgegengesetzte geäußert hat.
    Bloch errötete; d’Argencourt blickte lächelnd um sich, und wenn dieses Lächeln, während er es an die übrigen Besucher wandte, Bloch gegenüber böswillig war, mäßigte er es mit einer Note von Herzlichkeit, als er es schließlich auf meinem Freund ruhen ließ, um ihm den Vorwand zu benehmen, sich über die Worte zu ärgern, die er soeben gehört hatte, wiewohl diese damit nicht weniger grausam wurden. Madame de Guermantes flüsterte d’Argencourt etwas ins Ohr, was ich nicht verstand, ganz offenbar aber mit Blochs Religionszugehörigkeit zu tun hatte, denn in diesem Augenblick glitt über das Gesicht der Herzogin der ganz bestimmte Ausdruck, dem die Furcht, von der als Zielscheibe dienenden Person gehört zu werden, etwas Zögerndes und Unaufrichtiges verleiht, während sich jene merkwürdige und böswillige Heiterkeit darunter mischt, die eine Menschengruppe uns einflößt, der wir uns von Grund auf fremd fühlen. Um wieder etwas mehr Oberwasser zu bekommen, wandte Bloch sich dem Herzog von Châtellerault zu: »Sie, Monsieur, sind Franzose, aber Sie wissen doch bestimmt, daß man im Ausland für Dreyfus ist, obwohl immer behauptet wird, man wisse in Frankreich nicht, was im Ausland vorgeht. Übrigens weiß ich, daß man mit Ihnen reden kann, Saint-Loup hat es mir gesagt.« Doch in dem deutlichen Gefühl, daß alle Anwesenden sich gegen Bloch wandten, sagte der junge Herzog, der, wie man es so häufig in der großen Welt findet, feige war und im übrigen über einen raffinierten, sarkastischen Witz verfügte, der ihm von Monsieur de Charlus durch Atavismus zuzukommen schien: »Sie werden mich entschuldigen, Monsieur, wenn ich mit Ihnen nicht über Dreyfus diskutiere,doch das ist eine Sache, über die ich grundsätzlich nur mit Japhetiten 1 spreche.« Alle lächelten, nur Bloch nicht, obwohl er selbst ja die Gewohnheit hatte, sich ironisch über seine jüdische Herkunft zu äußern, über die Seite seines Wesens, die etwas zum Sinai neigte. Doch an Stelle eines der Sätze, die er offenbar im Augenblick nicht zur Hand hatte, ließ der Mechanismus seines Innern einen anderen zu Blochs Mund aufsteigen. Man

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