Auf die feine Art
erzählen.«
Antti hatte das Einkaufen vergessen, aber in den Schränken fand ich Nudeln und Konserven, aus denen sich eine Soße zubereiten ließ. Ich war es gewohnt, aus den Zutaten, die ich im hintersten Winkel meines Küchenschranks aufstöberte, die abenteuerlichsten Pastasoßen zu kreieren. Mein Rekord war wohl die Pfefferschmelzkäse-Erdnussbutter-Soße. Die hatte gar nicht mal schlecht geschmeckt. Diesmal ging es konventioneller zu, ich mischte Käse, Zwiebeln, schwarzen Pfeffer und Basilikum unter den Inhalt einer Dose Tomaten.
»Was willst du denn über Sannas Tod wissen?«, fragte Antti, während er drei Möhren raspelte.
»Die ganze Geschichte, so wie du sie einem Fremden erzählen würdest, der noch nie von Sanna gehört hat.«
Und Antti erzählte. Von Sanna, die am treffendsten mit dem Adjektiv selbstzerstörerisch zu charakterisieren war. Von Sanna, die eigentlich alles hatte, was man sich wünschen kann. Eine gute Familie, der Vater Diplomingenieur, die Mutter Lehrerin, der Stiefbruder glücklich verheiratet, der nette kleine Bruder Student an der Technischen Hochschule, in den Fußstapfen des Vaters …
Sanna war schön. Ihre großen Augen waren braun wie trockene Eichenblätter, die langen Haare fast kohlrabenschwarz. Die Haut bleich von der ungesunden Lebensweise, aber sonst makellos, außer an den Stellen, an denen Sanna sich Schnitte oder Brandwunden zugefügt hatte. Eine kleine Nase, ein großer, sinnlicher Mund, um den sie sogar BB beneidet hätte. Schlank, mit großen Brüsten. Erotische Ausstrahlung gepaart mit Unsicherheit.
Überdies war Sanna begabt. Ein Einser-Abitur an einer Provinzschule bedeutete zwar nicht viel, die Zulassung zum Französisch- und Englischstudium in Helsinki aber schon. Bei Hänninens trat die Tochter in die Fußstapfen der Mutter, genau wie es in unserer Familie meine Schwestern getan hatten. Doch während des Studiums wurde Sanna in andere Dinge hineingezogen: immer mehr Alkohol, Drogen, prügelnde Männer, teils echte Kriminelle. Ein paar Abtreibungen, dann eine Anklage wegen Trunkenheit am Steuer, bei der sie gerade noch mit einer Geldstrafe davonkam.
»Zum Schluss haben Annamari und Henrik sich verhalten, als ob Sanna gar nicht existierte. Ihre Tochter war nicht mehr präsentabel. Geld haben sie ihr zwar noch gegeben, aber sonst haben sie sich nicht mehr um sie gekümmert. Henrik ist ja immer viel unterwegs gewesen, und Annamari hatte nur ab und zu mal einen Anfall von Anhänglichkeit«, fuhr Antti fort.
»Bei ihrem ersten Selbstmordversuch war Kimmo gerade in der Armee. Die Hänninens wurden dadurch schon ein bisschen aufgerüttelt, und das war es ja, was Sanna erreichen wollte. Wir alle haben uns danach große Mühe gegeben, haben sie zu unseren Feten eingeladen und so weiter. Aber sie hat sich auf sämtlichen Partys sofort sinnlos betrunken und dann rumgetobt. Einmal hab ich sie vom Turm des Wärmekraftwerks in Tapiola runterholen müssen. Wenn sie nüchtern war, hat sie viel gelesen und geschrieben, zwischendurch fleißig studiert, aber sie ist immer wieder versumpft.«
Als Make auf der Bildfläche erschien, im Herbst vor Sannas Tod, ging es ihr eine Weile besser, wie immer, wenn ein neuer Mann in ihr Leben trat. Make war anständiger als seine Vorgänger, er stand erst am Anfang seiner Säuferkarriere. Sanna glaubte, sie hätte den Mann ihres Lebens gefunden. Und das musste jeden Abend begossen werden.
An ihrem dreißigsten Geburtstag wollte sie mit Make an der Mole in Westend eine Flasche Wodka leeren. Es war ein milder Winter gewesen, das Meer war eisfrei. Make schlief irgendwann am Strand ein, und Sanna war durch das flache Wasser am Ufer immer weiter ins Meer gewatet. Es war ein Mittwochabend im März vor einem Jahr, der Strand lag leer und verlassen da. Ein Mann, der seinen Hund ausführte, hatte Make gefunden und die Polizei alarmiert, aber erst in der Ausnüchterungszelle hatte der halb erfroren aus seinem Rausch erwachende Make sich gefragt, was eigentlich aus Sanna geworden war.
Ihre Leiche war am nächsten Tag angespült worden. Auf ihrem Schreibtisch, zwischen einem Totenschädel und einer schwarzen Kerze, hatte ein Buch gelegen, aufgeschlagen bei einem von Sannas Lieblingsgedichten, in dem sie viele Stellen unterstrichen hatte: »Lady Lazarus« von Sylvia Plath. Die Zeilen »And I a smiling woman. I am only thirty. And like the cat I have nine times to die« waren für Antti und Kimmo der Beweis, dass Sanna sich das Leben genommen
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