Auf doppelter Spur
nicht«, sagte ich. »Der verlässt sein Schneckenhaus nie.«
Mrs Ramsay öffnete, als ich an der Tür von Wilbraham Crescent Nr. 62 klingelte.
»Sie kamen doch zusammen mit dem Inspektor?«
»Ja, das stimmt, Mrs Ramsay. Darf ich eintreten?«
»Wenn Sie es wünschen – die Polizei schätzt es nicht, wenn man ihr den Zutritt verwehrt.«
Sie führte mich ins Wohnzimmer. In ihrer Stimme hatte eine gewisse Schärfe gelegen, doch jetzt verriet sie eine Teilnahmslosigkeit, die ich früher nicht an ihr bemerkt hatte.
»Sie wollen vermutlich noch Fragen wegen des letzten Mordes stellen? Das Mädchen betreffend, das in der Telefonzelle ermordet wurde?«
»Nein, das nicht. Eigentlich habe ich nichts mit der Polizei zu tun, wissen Sie.«
Sie sah überrascht aus. »Ich dachte, Sie wären Sergeant Lamb?«
»Mein Name ist Lamb, aber ich arbeite in einer anderen Abteilung.«
Mrs Ramsays Verhalten zeigte keine Teilnahmslosigkeit mehr. »Oh! Worum geht es?«
»Ist Ihr Mann noch im Ausland? Ja? Er ist schon ziemlich lange fort, nicht? Und ziemlich weit weggefahren, Mrs Ramsay, nicht wahr?«
»Was wissen denn Sie davon?«
»Nun, er befindet sich augenblicklich hinter dem Eisernen Vorhang.«
Zunächst schwieg sie, dann sagte sie mit ruhiger, tonloser Stimme: »Ja. Ja, das stimmt… Er wollte, dass ich nachkäme. Vermutlich hat er schon länger den Gedanken gehabt. Er hat mir aber erst kürzlich davon erzählt.«
»Sie stimmen mit seinen Ansichten nicht überein?«
»Früher vielleicht. Sie werden aber schon festgestellt haben, dass ich Ihnen keine wertvollen Informationen geben kann. Er hat mir nämlich nie genau Bescheid gesagt. Ich wollte es auch nicht wissen. Ich hatte es satt. Als Michael mir sagte, dass er für immer nach Moskau ginge, überraschte es mich kaum. Ich musste mich entscheiden, was ich tun wollte… Ich bin keine Fanatikerin. Ich war immer nur etwas links eingestellt.«
»War Ihr Mann in den Larkin-Fall verwickelt?«
»Ich weiß nicht. Könnte sein. Er hat nie darüber gesprochen… Ich will ganz offen sein. Ich liebte meinen Mann – vielleicht genügend, um mit ihm nach Moskau zu gehen, gleichgültig, ob ich seiner politischen Überzeugung war oder nicht. Aber ich sollte die Jungen mitbringen. Und das wollte ich nicht. Und ich beschloss, bei ihnen zu bleiben. Ich will, dass die Jungen in ihrem eigenen Lande aufwachsen als gewöhnliche englische Kinder… Und das ist alles«, sagte Mrs Ramsay und stand auf. »Ich muss mich jetzt entscheiden, ob ich hierbleibe oder fortziehe. Ich muss mir eine Stellung suchen. Ich war früher Sekretärin.«
»Gehen Sie aber nicht ins Cavendish-Schreibbüro«, sagte ich. »Den Mädchen, die dort arbeiten, scheinen merkwürdige Dinge zu passieren.«
»Wenn Sie meinen, dass ich davon etwas weiß, irren Sie sich.«
Ich wünschte ihr alles Gute und ging. Ich hatte überhaupt nichts von ihr erfahren, hatte es eigentlich auch nicht erwartet.
Beim Hinausgehen rannte ich fast Mrs McNaughton um. Sie trug eine Einkaufstasche und schien etwas wackelig auf den Beinen zu sein.
»Geben Sie sie mir«, sagte ich und nahm ihr die Tasche ab.
»Sie sind ja der junge Mann von der Polizei, ich hab Sie erst gar nicht erkannt!«
Die Tasche war unerwartet schwer. Kartoffeln? Als ich sie auf dem Küchentisch absetzte, gewann mein Agenteninstinkt die Oberhand. Unter Gelatineblättern lagen drei Flaschen Whisky. Jetzt begriff ich, wieso Mrs McNaughton manchmal so heiter und redselig war und gelegentlich einen etwas unsicheren Gang hatte. Vielleicht auch, weshalb McNaughton seine Professur aufgegeben hatte.
Als ich wieder die Straße in Richtung Albany Road ging, stieß ich auf Mr Bland. Er schien gut in Form zu sein und erkannte mich sofort.
»Wie geht’s? Was machen die Morde? Ihre Leiche ist also identifiziert worden. Scheint seine Frau ziemlich schlecht behandelt zu haben. Übrigens – Verzeihung, Sie sind doch keiner von den hiesigen Polizisten?«
Ausweichend antwortete ich, dass ich aus London käme.
»Aha! Scotland Yard ist daran interessiert, nicht?… Versteh schon. Man darf nicht aus der Schule plaudern. Aber Sie waren nicht bei der gerichtlichen Leichenschau!«
Ich sei im Ausland gewesen, sagte ich.
»Ich auch, mein Junge.« Er blinzelte mir zu und stieß mich mit dem Ellbogen in die Seite. »Leider nur einen Tag in Boulogne. Hab meine Frau nicht mitgenommen. Hab mir ‘ne kleine nette Blonde angelacht. Die hatte Temperament!«
»Geschäftsreise?«, fragte ich
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