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Auf Dunklen Schwingen Drachen1

Auf Dunklen Schwingen Drachen1

Titel: Auf Dunklen Schwingen Drachen1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cross
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Orientierungslosigkeit verschwinden würde, wenn man Morgen für Morgen so erwachte, dass ich begreifen würde, Opfer eines Albtraums geworden zu sein. Aber genau das war es ja. Es war kein Albtraum, es war real!
    Jedes Mal, wenn ich aus meinem Schlummer aufschreckte, war ich nicht die, die ich eigentlich sein sollte.
    Ich steckte im falschen Körper. Oder vielmehr, jemand anders steckte in meinem Körper, hielt mich in einem Zwischenstadium gefangen, im Nichts, und immer, wenn ich wach wurde, musste ich mich in meinen Körper zurückkämpfen, die Wesenheit vertreiben, die meinen Leib besetzte und dem Verlangen des Spuks eine Stimme verlieh: Waivia!
    Keine Frage, wer dieser Spuk war.
    Wut und Widerwillen durchfluteten mich, so dick wie der Schleim in den Eingeweiden eines geschlachteten Renimgars. Wie konnte sie mir das antun! Es war mein Körper. Sie war tot, sollte mir meinen Frieden lassen!
    Diesem Gefühl folgte Trauer, so scharf wie eine frisch abgezogene Machete. Sie schnitt schnell und tief in mein Fleisch, so schnell, dass ich zuerst gar nichts spürte. Dann jedoch floss der Schmerz in die Wunde, und Qual pochte in meinem Körper.
    Diese Trauer war nicht nur meine eigene. Wie ein bitterer Nachgeschmack lebte Mutters Gegenwart in mir fort, löste sich nur zögernd; ihre Liebe zu mir und das Bedauern, das sie empfand, weil sie mir so viel Kummer bereitete, säumten mein Herz und meinen Verstand.
    Sie würde mich in Frieden lassen, das versprach sie. Sie würde nicht wiederkommen, nein, nein.
    Aber sie tat es. Immer wieder.
    Jedes Mal, wenn der Schlaf mich übermannte, sei es des Nachts oder am Tage, sei es Tiefschlaf oder leichtes Dösen, kehrte sie zurück, gelenkt von ihrer Besessenheit, die ihr dies befahl, alles forderte.
    Ich wartete, bis das Frösteln abklang, dann stand ich auf. Unsicher stieg ich vom Dachboden ins Erdgeschoss hinab.
    Die anderen Onai saßen bereits um den Mühlstein herum, aßen Kadoob und Mus aus Muay-Blättern zum Abendbrot. Ich nickte ihnen zu, winkte ab, als sie sich besorgt nach meiner Schulter erkundigten, und ging hinaus.
    Ras-aun kochte immer die Kadoob, garte die fetten Knollen in einem riesigen, zerbeulten Kessel unter dem Frontgiebel vor dem Mühleneingang. Erst als sie mir eine Kelle des geronnenen Breis in meinen Napf füllte und unsere Blicke sich trafen, fiel mir wieder diese merkwürdige Unterhaltung mit Kiz-dan ein.
    Ras-auns Augen waren es, die mich daran erinnerten. Sie fixierten meine, als hätten sie Haken, die sich hineingruben und nicht mehr losließen. Ras-aun war alt, fast sechzig, und von Schüttellähmung geplagt. Aber ihre unheimlichen Augen blieben ruhig, starr. Wie die eines Drachen.
    Ich zog den Kopf ein und ging hastig zurück in die Mühle.
    Während ich aß, dachte ich über Kiz-dans Bitte nach. Während ich mich auszog, mir zusammen mit den anderen Onai kaltes Wasser über den Körper schüttete, draußen, vor der Mühle – wir badeten nicht im Becken des Wasserfalls, durften es nicht mit unseren weiblichen Sekreten verunreinigen, wegen der Kuneus, obwohl wir beschnitten und folglich rein waren -, während ich also mit steifen Beinen und weichen Knien auf dem erbarmungslos harten Boden der Rotunde kniete, während der Fünften Anbetung, unter einem blutroten Himmel, währenddessen dachte ich über Kiz-dans Bitte nach.
    Als wir schließlich unsere Schlafmatten ausrollten und unseren ruhigen, abendlichen Beschäftigungen nachgingen, bis auf die Onai, die Wache in der Rotunde hielten, hatte ich immer noch nicht entschieden, was ich tun würde.
    Also überraschte es mich fast ein bisschen, als mir, als ich meine Näharbeiten für die Sechste Anbetung zur Seite legte, klar wurde, dass ich beschlossen hatte, Kiz-dans Aufforderung nachzukommen.
    Ja, ich würde bei ihr und den anderen sieben Onai bleiben, die diese Nacht Wache hielten.
    Natürlich. Wer hätte nicht dasselbe getan, als einsame Fünfzehnjährige, die sich verzweifelt nach Zerstreuung sehnte, ganz gleich welcher Art?

16
    D ie Nacht ist die Zeit der Kwano, der Moment der Schlange. Nacht ist, wenn die Eine Schlange, der Erste Vater, der Urahn und Geist aller Kwano-Schlangen überall auf der Welt, seine Nachfahren auf die Suche nach kaltblütigen Kreaturen schickt, damit junge Kwano unter Schuppen und ledriger Haut geboren werden können und an frischem Reptilienblut gedeihen, bis sie erwachsen sind.
    In Tieron sorgte die Nähe des Dschungels für einen ständigen Strom von Kwano-Schlangen. Die

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