Auf Dunklen Schwingen Drachen1
sich. Dann wandte er sich Vater zu.
»Du bist der Gebieter dieser Frau. Also bist du für ihr Verhalten verantwortlich. Das entspricht den Tempelstatuten, wie alle hier wissen.«
»Ja«, erwiderte Vater heiser. Seine Schultern sackten zusammen.
»Nimm deinem erwählten Weib den Beutel ab!«
»Wage es nicht, Darquel!«, konterte Mutter sofort. »Er gehört mir, und ich werde Waivia damit zurückkaufen. Rühr ihn nicht an!«
»Nimm deinem erwählten Weib den Beutel ab!«, wiederholte Onkel Rudik.
Vater stand einen Moment da, mit geröteten Wangen, und seine große, tonnenförmige Brust hob und senkte sich. Dann griff er nach Mutter.
Ich schloss die Augen, hörte das Scharren von Füßen, ihre Schreie, die Schläge, den stoßweisen Atem und das Reißen von Kleidung. Dann den Schrei meiner Mutter, schrill, markerschütternd.
Über uns flog eine Schar Redaws auf, schrie heiser, und irgendwo in der Nähe johlte eine Gruppe von aufgeschreckten Heuleraffen.
Ich öffnete die Augen und sah, wie Vater das Geldpapier, das ich so mühsam verdient hatte, seinem Bruder reichte, meinem Blutonkel Rudik.
Es war unser letzter Tag auf den Sesalfeldern.
Ich pflückte langsam, lustlos. Wozu auch?
Irgendwo unter mir blutete Mutter weiter, setzte ihre Beschwörungen fort. Nicht allerdings, um unseren Clan zu beschützen, sondern nur, um mich zu beschützen an unserem letzten Tag auf den Feldern.
Ich musste pinkeln.
Die von Schlingpflanzen überwucherten, verdrehten Äste der Sesalbüsche herunterzuklettern erforderte immer sehr viel Kraft. Meine Beine zitterten anschließend unkontrolliert und wurden so weich wie feuchter Lehm. Wenn ich pinkeln oder mich erleichtern musste, machte ich das deshalb von einem Ast aus, statt zum Boden herunterzusteigen.
Genauso machte ich es jetzt auch und sah meinem Urin nach, der herunterplätscherte, von einem staubigen Blatt aufs nächste prasselte. Ich beobachtete das mit dem dumpfen, starren Blick eines Menschen, der nur noch rein mechanisch funktioniert. Selbst nachdem ich fertig war, starrte ich ausdruckslos hinab, mein Kopf nickte ein wenig unter der Hitze, die sich wie eine stickige Decke über mich legte, mich zum Schlafen drängte.
Ich weiß nicht, wie lange ich so hockte und glotzte, unbeweglich, bis die Erstarrung so weit nachließ, dass sich mein Blick fokussierte.
In dem Moment bemerkte ich die Skop-Blüten.
Skops wachsen auf den von schlüpfrigen Flechten überzogenen, nach Norden gerichteten Zweigen der meisten tropischen Bäume. Es sind Sukkulenten mit hohlen Stängeln und Büscheln winziger gelber Blüten. Ich schien dieses Büschel von Skops beim Hinaufklettern geköpft zu haben, denn die hohlen Stängel starrten zu mir hinauf, während der klebrige Milchsaft daraus hervorquoll. Mein Urin hatte eine Klauevoll von ihnen benetzt. Und die bewegten sich.
Langsam, ganz langsam wanden und verdrehten sie sich.
Fasziniert und jetzt hellwach sah ich zu.
Während sie sich bewegten, splitteten sich die Enden dieser Skop - Stängel, rollten sich zusammen und bildeten fingerlange Schnörkel und zierliche Spiralen, die sich alle voneinander unterschieden. Ich wartete, bis sie zur Ruhe kamen, und pflückte sie dann von der Sesalrinde ab. Die Stängel gaben leise, schnappende Geräusche von sich, wenn ich sie abriss, etwa so wie eine Kakerlake, die ich zerquetschte.
Sorgfältig fädelte ich meine kostbaren Schätze auf eine dünne Hintoop - Ranke auf und band sie als Armband um mein Handgelenk. Danach köpfte ich absichtlich so viele Skops, wie ich konnte, und urinierte anschließend darauf.
Es wachsen viele Skops auf den Sesalfeldern.
In der Mittagspause war ich vollkommen bedeckt mit diesem Skop-Schmuck. Um den Hals hatte ich mir eine Klauevoll Ketten gehängt, jeder Unterarm wurde von zwei Klauenvoll Armbändern geschmückt, ebenso viele trug ich um die Fußgelenke. Alle starrten mich an, als ich zu meinem Clan auf den Boden hinabstieg. Ich sonnte mich in ihren Blicken. Bis mir auffiel, dass sie alles andere als freundlich waren.
Die Leute wussten eben nicht, was sie von meinem Schmuck halten sollten, und fragten sich, ob meine Bänder merkwürdige, verbotene Djimbi-Amulette waren, die meine Mutter zu einem wie auch immer gearteten finsteren Zweck geschaffen hatte.
Ich schlich mich an Mutters Seite, mit gesenktem Kopf, und hoffte, dass Onkel Rudik meinen Schmuck nicht bemerken und mir wegnehmen würde. Mutter saß am Rand unserer kleinen, hitzegeplagten Gruppe, etwas
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