Auf Dunklen Schwingen Drachen1
versteckt hinter einem Dickicht aus Nipok - Bäumchen. Dunkle Ringe lagen unter ihren tief in den Höhlen liegenden Augen, und aus beiden Nasenlöchern tröpfelte Blut. Über den Kragen ihres blutgetränkten Bitoos krabbelten Ameisen.
Ich hockte mich schweigend neben sie, nicht zu nahe, damit meine Anwesenheit sie in ihrer erschöpften Verzweiflung nicht an das erinnerte, was gestern vorgefallen war, aber in Reichweite. Falls ihr auffiel, dass auch ich ihr Elend teilte. Falls sie mich halten und trösten wollte.
Wie sehr ich mich danach sehnte, dass sie mich in die Arme nahm, mich hielt, tröstete!
Aber ich verdiente diesen Trost nicht, richtig?
Was gestern passiert war, hatte ich verursacht, als ich während der Mittagspause pflücken wollte, entgegen Blutonkel Rudiks Befehl, mich auszuruhen. Wäre das nicht geschehen, wäre ich klüger gewesen, hätte den Zeitpunkt besser gewählt, dann hätte Mutter ihren Bauchbeutel voller Geldpapier noch.
Statt hier matt und leer herumzusitzen, würde sie vor Stolz auf mich strahlen, euphorisch, weil ich das erreicht hatte, was sie so verzweifelt wollte.
Ich hätte mich als würdig erwiesen.
Und hätte Trost verdient.
Jetzt jedoch tat ich das nicht.
»Was … was hast du da um den Hals, Zarq?«
Ich schreckte zusammen, weil ich nicht bemerkt hatte, dass sie mich musterte. Ich hob den Blick vom Boden und sah sie furchtsam an. »Schmuck«, flüsterte ich, als ich ihr in die wie toten Augen blickte.
Sie spitzte die Lippen, und mir sank der Mut, als ich ahnte, was sie sagen würde. Rasch fuhr ich fort: »Ich habe sie nicht gestohlen, sondern selbst gemacht.«
In wachsender Verzweiflung schwang ich eine Hand vor ihrer Nase hin und her. Die ausgetrockneten Skop - Armbänder klapperten wie winzige Knochen. »Siehst du? Siehst du? Sind sie nicht hübsch?«
»Hmm.« Ihr Interesse schwand. »Nett, ja.«
»Sie sind jetzt ein wenig trocken, aber als sie frisch waren, sahen sie wirklich hübsch aus. Ich kann dir eines machen, wenn du willst. Es würde dir gut stehen. Ganz sicher würde es das. Wir könnten es mit nach Hause nehmen, in blaue Glasur tauchen, dein Lieblingsblau, und es würde wie ein kostbarer Stein glänzen …«
Mich verlangte so verzweifelt nach ihrer Aufmerksamkeit, so sehr, so übermäßig.
Nur langsam, ganz langsam veränderte sich ihr Verhalten. Schwer zu sagen, wie genau, aber es war, als würde sich etwas in ihr regen, den Schlaf abschütteln, sich erheben, auf die Füße stellen, sich recken, hoch aufrecken, immer größer und größer …
Sie packte meine Hand, die ich noch immer ausgestreckt hatte. Betastete ein Armband, dann das nächste, strich mit einer steigenden Intensität über die Skops , die mich verwirrte und mir Angst machte.
»Wie hast du die gemacht?«, zischte sie schließlich. Oh, wie ihre Augen glänzten! Wie ihre Wangen glühten!
»Ich habe sie nicht gestohlen, wirklich nicht …!«
»Ich beschuldige dich auch nicht. Sag mir einfach, wie du sie gemacht hast!«
»Aus Skop-Stängeln.«
»Wie?«
»Man muss die Blüten abbrechen und dann … auf sie pinkeln.«
»Skops und Pipi? Das ist alles?«
Ich nickte. »Sie rollen sich selbst zusammen«, erklärte ich kleinlaut. »Durch das Pipi.«
»Oh, Zarq!«, stieß sie hervor. »Ach, Zarq!«
Sie starrte mich an. Ihre Augen waren feucht, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Es wurde zu einem wunderschönen Strahlen, einer Sonne der Freude, und ich hielt den Atem an, vermochte es kaum zu glauben.
»Ach, meine liebe, edle Zarq!«, flüsterte sie.
Dann endlich, endlich streckte sie die Arme aus, zog mich an sich und umarmte mich, so weich, so süß. Nach dieser Umarmung hatte ich mich so lange gesehnt. Zärtlich drückte sie mir immer wieder Küsse auf mein von Blättern zerzaustes Haar.
»Ach, Zarq, meine liebe Zarq!«
Ich wurde wieder geliebt. Ich wusste zwar nicht genau, warum, aber das war gleichgültig.
Ich klammerte mich an sie und weinte.
Am nächsten Tag kehrte Danku Re nach Hause zurück.
10
D er Regen trommelte auf den Arbeitsschuppen, gedämpft durch das Reet des Daches. Feuchter Wind wehte durch die Öffnungen in der von Löchern übersäten Wand. Die schwarze Nacht machte alles unsichtbar. Mutter, den Werktisch, die Regale, die Regentonne, den umhüllten Lehm. Nichts existierte in dieser bitteren Dunkelheit.
Dann sprach Mutter.
»Ist das alles?«, fragte sie ungläubig.
Ich wachte auf. Die glatte Urne unter meinem nackten Hintern fühlte sich kalt
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