Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
leben zu können. Später sind aber Abgeordnetenpensionen eingeführt worden. Als Minister habe ich mich manchmal geärgert, dass andere Leute mit sehr viel weniger Verantwortung und sehr viel weniger Arbeit ein Zigfaches verdienten. Aber der Ärger ging nicht tief.
Hatten Sie als Regierungschef noch ein Portemonnaie mit dem nötigen Kleingeld in der Tasche?
Kleingeld hatte ich sicherlich lose in der Tasche, nicht im Portemonnaie. Aber ich habe es selten gebraucht. Meistens hat der Kraftfahrer für mich den Kaffee bezahlt und hat sich hinterher das Geld wiedergeben lassen.
Wie wichtig ist Ihnen Geld?
Gar nicht. Heute überhaupt nicht mehr.
Sie sind immer zurande gekommen?
Ja. Aber immerhin hatte ich dieses Haus hier gekauft von der Neuen Heimat. Auf diesem Haus lag eine Hypothek. Die hatte ich noch nicht ganz abzahlen können, als ich als Kanzler ausschied. Also, so gut war die Bezahlung des Kanzlers nicht.
Gibt es einen unerfüllten Wunsch?
Nee – einen aus finanziellen Gründen unerfüllten Wunsch, den gibt es nicht. Wunschträume sind nicht meine Sache.
17. Januar 2008; das Interview führte Matthias Naß
[ Inhalt ]
»Eigentlich musst du mal den Koran durchlesen«
Über Bücher
Lieber Herr Schmidt, Ihr Büro und Ihr Haus sind voller Bücher. Wann lesen Sie? Was lesen Sie?
Ich lese meistens nachts, eine Stunde vor dem Einschlafen, und meistens Sachliteratur. In den letzten Nächten habe ich ein Buch über die Auslandsverschuldung der USA gelesen.
Seltsame Nachtlektüre.
Ein anderes, über die Geschichte Englands, habe ich durchgesehen und einiges nachgeschlagen und mir am nächsten Morgen Notizen gemacht.
Unterstreichen Sie beim Lesen? Schreiben Sie sich Zitate raus? Stecken Sie Zettel zwischen die Seiten?
Unterstreichen, ja. Zettel ganz selten, denn ich habe am Bett keine Zettel zur Hand.
Kennen Sie das, über dem Lesen die Zeit zu vergessen?
Ja. Und dann ist die Nacht zum Schlafen nachher zu kurz und man muss eine Schlaftablette nehmen, damit sie wenigstens zum Schlafen ausgenutzt wird.
Sachliteratur liegt Ihnen mehr als Belletristik.
Nein, die liegt mir nicht, sondern sie ist für mich notwendig, weil ich zum Beispiel für euch bei der ZEIT , aber auch für die Bücher, die ich schreibe, sachliche Informationen brauche. Und da kann ich nicht gleichzeitig Romane und Gedichte lesen.
Vermissen Sie das?
Es tut mir leid, dass es so ist. Ja.
Ist Sachliteratur für Sie nur Pflichtlektüre, oder ist sie auch Leidenschaft?
Die Leidenschaft liegt darin, sich weiterhin, auch als alter Mann, an der Diskussion über das öffentliche Wohl zu beteiligen. Das erfordert Sachliteratur. Insofern ist es eine Pflicht. Aber die eigentliche Pflicht ist die Beteiligung am öffentlichen Wohl. Weil die Zeit und die Arbeitskraft begrenzt sind, verdrängt die Sachliteratur leider die sogenannte schöne Literatur in den Brahmsee-Urlaub. Das ist übrigens ein komisches Wort, denn sie ist nicht immer schön.
Welches Buch wollten Sie Ihr Leben lang lesen und sind nie dazu gekommen?
In den letzten Jahren hatte ich die Vorstellung, eigentlich musst du mal den Koran durchlesen. Das habe ich nicht geschafft.
Haben Sie die Bibel ganz gelesen?
Nein.
Warum ist Ihr Interesse am Koran größer?
Von der Bibel habe ich eine ganz gute Vorstellung. Altes Testament sowohl als auch Neues Testament. Vom Koran habe ich eine unzureichende Vorstellung. Deswegen dachte ich, ich müsste mich mit dem Koran beschäftigen. Aber eine ernsthafte Beschäftigung hätte sehr viel Zeit beansprucht.
Gibt es ein Buch, das Sie immer wieder zur Hand genommen haben?
Zum Beispiel Max Webers »Politik als Beruf«. Eigentlich nur ein Vortrag, den er später schriftlich ausgearbeitet hat, aus dem Jahre 1919. Max Weber war einer der herausragenden Soziologen. Kein ausgeprägter Demokrat, aber ein glänzender Analytiker.
Haben Sie Weber auch in Ihrer politisch aktiven Zeit gelesen?
Max Weber habe ich zuerst gelesen, als ich Student war. Und jetzt bin ich inzwischen 89 Jahre und habe ihn gerade wieder in der Hand gehabt.
Es heißt, Politiker fänden keine Zeit zu lesen.
Ich habe auch als Minister und als Kanzler immer nachts gelesen. Immer. Jemand, der nicht liest, bleibt dumm.
Sie selbst haben mehr als 20 Bücher geschrieben, politische Bücher, persönliche Erinnerungen. Hätten Sie gern einen Roman geschrieben?
Nee, dazu habe ich nicht genug Fantasie.
Die hätten Sie doch einmal richtig blühen lassen können.
Ich kann nichts blühen
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