Auf einem Maskenball verführt
Patentochter.
„Hör mal, ich kann auf deine Einmischung getrost verzichten. Und damit du es weißt: Die Freundinnen meiner Brüder sind für mich tabu. Oder waren es zumindest, bis ich dich getroffen habe.“
Was wollte er damit sagen? Alyssa spürte, wie sie sich wider alle Vernunft zu ihm hingezogen fühlte. Wenn sie ihm doch die Wahrheit sagen könnte. Vielleicht würde das die Dinge zwischen ihnen ändern? Sie seufzte und vertrieb diese Gedanken rasch wieder. Dazu würde es niemals kommen, schließlich hatte sie Kay und Phillip Saxon versprochen, ihr Geheimnis zu bewahren.
Unglücklich sah sie Joshua hinterher, während er sie einfach stehen ließ. Trotz des sonnigen Tages fror sie. Halb unbewusst hörte sie das Zuschlagen von Wagentüren und Anlassen von Motoren. Auf dem Friedhof befanden sich nur noch wenige Menschen. Sie dachte daran, wie ritterlich sich Joshua für Amy einsetzte. Wie wunderbar wäre es, wenn seine Fürsorge ihr, Alyssa, gelten würde …
Als das einzige Kind ihrer nicht mehr ganz jungen Eltern war sie behütet, aber ziemlich einsam aufgewachsen. Mit dreizehn hatte sie herausgefunden, dass sie adoptiert war.
Begeistert von der Vorstellung, Geschwister zu haben, hatte sie sich sofort auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern machen wollen. Doch Margaret, ihre Adoptivmutter, war sehr unglücklich darüber gewesen, dass Alyssa ihre leiblichen Eltern suchen wollte. Erst nach ihrem Tod vor drei Jahren hatte Alyssa zielstrebig ihre Forschungen betrieben.
Zwar hatte sie ihren leiblichen Vater nicht gefunden, wohl aber ihre Mutter, die in einem Pflegeheim für Schlaganfallpatienten lebte, wo Alyssa sie von da an regelmäßig besuchte hatte.
Als sie von der Existenz eines Bruders erfahren hatte, war sie vor Freude kaum noch zu halten gewesen. Und nun war er tot!
Eine Wolke verdunkelte die Sonne und warf einen Schatten auf das Grab. Alyssa wurde noch kälter.
Hätte es etwas geändert, wenn sie ihm eher begegnet wäre? Sie bezweifelte es. Er hatte ja von Anfang an eine große Familie gehabt. Sie dagegen …
„Alice …“, hörte sie neben sich die zögernde Stimme Kays.
„Nennen Sie mich ruhig Alyssa“, sagte sie, denn Alice gab es nicht mehr. Sie hatte nur in Bezug auf ihren Bruder existiert, und der lebte nicht mehr. Geradeheraus fügte sie hinzu: „Joshua hält mich für die heimliche Geliebte von Roland. Ich finde den Gedanken unerträglich, schon allein wegen der Verlobung mit Amy. Bitte lassen Sie mich ihm die Wahrheit sagen.“
Mit einer Handbewegung wies Kay auf das frische Grab und schüttelte den Kopf. „Warum sollten Phillip und ich den Kindern den Glauben nehmen, dass sie und Roland leibliche Geschwister waren?“
„Aber sie sind doch längst erwachsen und werden es verstehen.“
„Phillip und ich finden, dass es jetzt zu spät ist, ihnen von der
Adoption zu erzählen. Sonst hätten sie vielleicht das Gefühl, mit einer Lüge aufgewachsen zu sein.“
Während ihrer Unterhaltung bewegten sich die beiden Frauen langsam auf den weißen Zaun zu, wo sich Phillip Saxon mit einer Gruppe Trauergäste unterhielt.
„Ach, wenn Sie es ihnen doch schon früher gesagt hätten!“ Vielleicht hätte das alles geändert, dachte Alyssa traurig. Roland hätte Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, außer seinen Adoptivgeschwistern auch eine leibliche Schwester zu haben.
Kay blieb stehen und sagte: „Das wollten wir auch. Aber irgendwie ist es nie dazu gekommen. So vergingen die Jahre … Und jetzt brauchen sie es auch nicht mehr zu erfahren. Bitte nehmen Sie darauf Rücksicht.“
Mit einer solchen Antwort hatte Alyssa gerechnet, doch sie hatte nicht kampflos aufgeben wollen. In diesem Augenblick kam ihr ein Gedanke: Kay musste so viele Erinnerungen an Roland haben! Vielleicht könnte sie sie daran teilhaben lassen … „Kay, ich werde niemandem etwas sagen, das verspreche ich. Wären Sie im Gegenzug so freundlich, mir Fotos und Erinnerungsstücke von Roland zu zeigen? Vielleicht könnte ich ja für eine Woche oder so täglich zu Ihnen kommen … und Sie erzählen mir alles über ihn?“
„Das geht nicht …“, erwiderte Kay zögernd. „Das heißt, wenn Sie wirklich für immer Stillschweigen bewahren, was die Adoption betrifft … Ich sehe ja, wie viel es Ihnen bedeutet.“
„Sie haben mein Wort.“ Alyssa spürte, wie ihr Herz vor Freude einen Hüpfer machte. „Wissen Sie, ich habe seit meinem achtzehnten Lebensjahr nach ihm gesucht.“
„Na gut“, sagte Kay
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