Auf einem Maskenball verführt
mit einem Gesichtsausdruck, der gemischte Gefühle widerspiegelte. „Dann würde ich sagen, kommen Sie doch morgen früh nach Saxon’s Folly. Und bringen Sie Ihr Gepäck mit. Sie können bei uns auf dem Weingut wohnen.“
Für einen Moment schöpfte Alyssa neuen Mut. Doch als sie daran dachte, was Joshua dazu sagen würde, wurde ihr flau im Magen.
4. KAPITEL
Als Alyssa am nächsten Morgen mit ihrem Auto durch den großen weißen Torbogen in die Ländereien des Weingutes Saxon’s Folly fuhr, hatten ihre Magenschmerzen nicht nachgelassen.
Zu beiden Seiten der langen, mit mächtigen Eichen bestandenen Allee erstreckten sich in schier endlosen Reihen die Weinstöcke mit den Knospen, die sich bald öffnen würden. Doch auch die herbe Schönheit der Landschaft vermochte ihre Aufregung nicht zu lindern: Bald würde sie Joshua Saxon wiedersehen.
Zum Glück hatte ihr Chef der Verlängerung ihres Aufenthalts zugestimmt. Als sie ihm erzählt hatte, wo sie war, hatte er ihr gleich einen Auftrag erteilt.
„Wie ich gehört habe, ist Roland Saxon am Wochenende tödlich verunglückt – ein unersetzlicher Verlust für die Welt des Weines – und natürlich für die Saxon’s Folly Weingüter. Vielleicht kannst du herausfinden, wer sein Nachfolger als Marketingchef wird, und einen Nachruf schreiben.“
Nach dem Telefongespräch mit David hatte sie in der Stadt einige Pflegeartikel und Kleider für die Tage auf dem Gut gekauft. Dabei hatte sie über den Bericht nachgedacht, den er von ihr erwartete. Ganz egal, was passieren würde: Ihr Geheimnis würde sie für sich behalten, so wie sie es Kay versprochen hatte.
Wie so oft in den letzten Tagen war Joshua Saxon die erste Person, die sie sah, als sie nach ihren Einkäufen auf dem Hof des Weingutes vorfuhr. Und auch diesmal blickte er sie unfreundlich an und machte kein Hehl aus seinem Missfallen. Alyssa hielt seinem Blick stand.
„Falls es dir entgangen sein sollte: Die Beerdigung ist vorüber“, sagte er grimmig. „Du solltest längst deine Sachen gepackt haben und auf dem Heimweg sein.“
„Ich habe noch etwas für dich“, sagte sie mit erhobenem Kopf, öffnete den Kofferraum und nahm die Jacke heraus, die er ihr geliehen hatte.
„Danke“, sagte er ein wenig beschämt und warf sich das Designerstück über die Schulter. „Also dann. Gute Fahrt.“
Wahrscheinlich war es am besten, ihm gleich die Wahrheit zu sagen. „Ich fahre noch nicht. Deine Mutter hat mich eingeladen, eine Woche lang euer Gast zu sein.“
„Wie bitte? Mom trauert um ihren ältesten Sohn. Da glaube ich kaum, dass sie einen Eindringling wie dich um sich haben möchte.“
Dass es sich dabei weniger um eine Einladung als vielmehr ein Abkommen zum beiderseitigen Vorteil handelte, brauchte Joshua ja nicht zu wissen. Tief atmete sie ein. „Keine Angst, Joshua, ich werde ihre Gefühle nicht verletzen.“
Er murmelte etwas Unverständliches und nahm ihre Tasche aus dem Kofferraum. Alyssa fasste sich ein Herz und beschloss, ihm auch gleich noch vom Auftrag ihres Chefs zu berichten. „Der Herausgeber von Wine Watch möchte von mir einen kleinen Beitrag, einen Nachruf auf Roland. Die Woche hier werde ich dafür nutzen.“
„Oh nein! Du wirst hier nicht herumschnüffeln und das Andenken meines Bruders in den Schmutz ziehen.“
„Nein, das habe ich absolut nicht vor. Gut, ich werde ein bisschen recherchieren und Fragen stellen, wie Roland war und wie er das Leben der Menschen in seiner Umgebung bereichert hat. Joshua, es wird ein sehr positiver Text werden. In der Welt des Weines wird Roland eine Lücke hinterlassen.“ Und in ihrem Leben auch.
Joshua überlegte. „Irgendwie traue ich dir nicht. Vergiss nicht, ich war schon einmal Opfer deiner Schreibwut, mit der du über das Ziel hinausgeschossen bist. Ich werde dich die ganze Zeit über nicht aus den Augen lassen.“
Nur das nicht! Alyssas Traum, ungestört mit Kay Fotos aus Rolands Kindheit zu betrachten, drohte wie eine Seifenblase zu zerplatzen. „Aber …“
„Auf diese Weise kannst du wenigstens nicht noch mehr Unheil anrichten als sowieso schon.“ Mit zusammengekniffenen Augen sah er sie nachdenklich an. „Also, warum bist du auf den Ball gekommen? Etwa für ein Exklusivinterview?“
Alyssa, die es leid war, von ihm so abschätzig behandelt zu werden, antwortete wütend: „Nein! Sondern wegen …“ Gerade noch rechtzeitig brach sie ab, beinahe hätte sie im Zorn ihr Geheimnis verraten!
„Wegen …?“, fragte er
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