Auf einem Maskenball verführt
gespannt.
„Um Roland zu sehen“, antwortete sie so ruhig wie möglich. Sollte er doch denken, was er wollte!
„Aber warum? Du hast mir noch immer nicht gesagt, was du von ihm wolltest.“
„Ich glaube kaum, dass dich das etwas angeht“, versetzte sie schnippisch und klappte den Kofferraumdeckel zu.
Ohne den Blick von ihr zu wenden, sagte er: „Wenn mich nicht alles täuscht, wolltest du erreichen, dass er mit Amy Schluss macht.“
„Nein!“
„Was denn sonst?“, fragte er, und es war ihm deutlich anzumerken, dass er ihr nicht glaubte. „Irgendwas hast du im Schilde geführt. Oder willst du mir etwa noch immer weismachen, ihr wärt nur Freunde gewesen?“
Wie ironisch er das Wort „Freunde“ aussprach, verletzte Alyssa zutiefst. Doch sie wollte ihm nicht die Genugtuung geben, sich zu verteidigen, und schwieg.
„Du wolltest doch etwas von ihm. Irgendeine Story?“
„Nein. Darum ging es nicht.“
„Du willst mir doch nicht sagen, dass dir mein Bruder mehr bedeutet hat als eine deiner Storys?“
„Doch. Genauso ist es“, bestätigte sie.
Nach kurzem Schweigen sagte er: „Allmählich glaube ich wirklich, dass du aufrichtig um ihn trauerst – genau wie wir.“
Während sie noch verblüfft war von diesem unerwarteten Zugeständnis, trug er bereits ihre Reisetasche zum Wohnhaus.
In der Bücherei fanden sie Kay, die an einem großen Schreibtisch aus Walnussholz saß und aus dem Fenster auf die Weingärten blickte.
„Mom, dein Gast ist da.“
„Joshua …“
„Tut mir leid, dass ich euch keine Gesellschaft leisten kann, aber ich habe zu tun.“ Er stellte die Tasche ab und legte die Smokingjacke über die Armlehne eines Ledersessels. „Und denk daran, dass wir heute Abend mit Amy essen gehen wollen.“ Zu Alyssa gewandt fügte er hinzu: „Es wird besser sein, wenn du uns dabei nicht begleitest.“
„Aber Joshua, wir wollen doch nicht unhöflich sein. Natürlich kann sie mitkommen.“
„Nein, lieber nicht. Sonst bekommt Amy noch etwas von der heimlichen Beziehung mit.“
Kay warf Alyssa schnell einen unauffälligen Blick zu. Nach einem kurzen Moment der Ratlosigkeit sagte sie nur: „Wie du meinst …“
Joshua nickte und sagte zu Alyssa: „Wenn du deine Sachen ausgepackt hast, kommst du bitte zu mir und begleitest mich bei meiner Arbeit. Ich bin in den Weinkellern.“
„Ach nein“, wandte Kay ein. „Ich möchte ein wenig Zeit mit Alyssa verbringen, damit ich sie ein wenig besser kennenlernen kann. Wo doch Roland und sie …“ Sie räusperte sich. „… einander so nahestanden.“
„Na gut“, lenkte er ein. Zu Alyssa gewandt sagte er: „Du weißt ja, was ich von dir erwarte!“
Als die beiden Frauen allein waren, sagte Alyssa zu Kay: „Wenn Sie nicht gleich über Roland sprechen möchten, verstehe ich das. Wir können uns gerne erst über etwas anderes unterhalten. Oder Sie führen mich ein wenig herum. Wie Sie möchten.“
Kay schluckte, weinte aber nicht. „Nein. Ich möchte über Roland sprechen. Es ist ja alles so plötzlich passiert. Im Dezember wollten er und Amy heiraten. Phillip und ich haben uns schon auf Enkelkinder gefreut …“
Plötzlich ging Alyssa auf, was das auch für sie bedeutet hätte: Sie hätte einen Neffen oder eine Nichte haben können. Oder eine Schwägerin wie Amy. „So weit habe ich ja noch gar nicht gedacht! Das wäre ja wunderschön …“
Gerührt zog Kay Alyssa in ihre Arme.
„Ich fühle mich so … einsam“, sagte Alyssa schließlich.
„Was ist mit Ihren Eltern?“
„Meine Adoptivmutter starb vor drei Jahren an Krebs. Sie wollte nicht, dass ich meine leiblichen Eltern suche. Offenbar hatte sie Angst, mich zu verlieren.“
„Und Ihr Adoptivvater?“
„Hat letztes Jahr wieder geheiratet. Mit seiner neuen Frau, deren Tochter und den beiden Enkeltöchtern lebt er in Australien, an der Goldküste.“
„Also sind Sie jetzt allein … Und jetzt ist auch noch Ihr Bruder tot“, sagte Kay einfühlsam.
„Ja. Leider“, flüsterte Alyssa traurig. „Aber dass Sie mir etwas über ihn erzählen, bedeutet mir mehr, als Sie sich vorstellen können.“
Nachsem die Saxons gegangen waren, um sich mit Amy zu treffen, kam sich Alyssa seltsam verlassen vor. Nachdem sie den Fernseher ausgeschaltet hatte, empfand sie beinah körperlich die Stille des leeren Hauses. Nur ab und zu knarrte es im mächtigen Gebälk.
Noch einmal blätterte sie das Fotoalbum durch, das sie am Nachmittag zusammen mit Kay angeschaut hatte.
Sehnsüchtig
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