Auf ewig und einen Tag - Roman
Menschenstimme«, erwiderte sie und stellte einen Becher vor mir ab. »Eine Stimme der Verwirrung.«
Ich wartete, dass sie es mir genauer erklärte, aber sie setzte sich nur auf ihren Stuhl zurück und pustete in ihren Tee. Ich dachte, ich hätte sie ohnehin verstanden. Der Teufel war immer in mir gewesen, hatte einfach abgewartet, eine Stimme, die ich nur bruchstückhaft an eisigen, trüben Wintertagen gehört hatte.
»Hör zu. Als ich in deinem Alter war, hätt’ ich fast die Schule geschmissen und zu arbeiten angefangen, wie meine Momma es ihr ganzes Leben getan hat, und die Böden von anderen Leuten geschrubbt. Aber da gab’s eine Frau, Mabel, die in der Küche gearbeitet hat, und als ich ihr von meinem Plan erzählt hab, hat sie mir eine Tasse Ingwertee gekocht.«
Ich sah auf meinen Tee hinab, ließ mir von dem Becher die Finger verbrennen und hielt ihn weiter fest, obwohl sie höllisch wehtaten.
»Sie sagte: ›Schau deine Momma an mit ihren rissigen Händen und roten Augen, und frag dich, ob das das Richtige für dich ist.‹ Und wie ich meinen Tee ausgetrunken hab, hat sie die Blätter gelesen und mir gesagt, dass das nicht meine Zukunft ist. Sie hat gesagt, du wirst die Schule fertig machen und nach Norden gehen und irgendwo leben, wo Meer auf allen Seiten ist.« LoraLee nickte. »Vielleicht hat sie von Teeblättern gar nichts verstanden, vielleicht hat sie mir bloß den Kopf zurechtsetzen wollen, aber für mich hat sich’s richtig angehört, und ich hab getan, was sie gesagt hat. Ich hab die Schule fertig gemacht
und bin rauf in den Norden gegangen. Ich bin einfach dahin gegangen, wo mich meine Füße hingetragen haben, und wie ich diesen Platz gefunden hab, hab ich gewusst, hier bin ich daheim. Die Idee, ich will auf Händen und Knien arbeiten, das war mein Teufel, und ob sie’s nun gewusst hat oder nicht, Mabel war meine Stimme Gottes. Sie hat mich hierhergebracht, und sie hat mich auch dazu gebracht, dass ich Teeblätter lesen wollte.«
Ich sah auf meine verbrannten Hände hinab. Du kennst die Stimme des Teufels nicht, wollte ich ihr sagen. Ich habe einen Mann getötet, ich werde meine Schwester töten, vielleicht mich selbst. Das ist der Teufel.
»Also ist die Moral von der Geschicht’, du hast seine Stimme immer in dir und auch außerhalb von dir. Wenn du sie einlässt, kann sie dir alles beibringen, was du wissen musst.« Sie lächelte mich an, dann riss sie die Augen auf. »Du hast dir die Hand verbrannt? Mein Gott, Kind, was hast du getan?«
»Nichts, es ist nichts.«
»Ich hol dir Aloe.« Sie sprang auf, ging zum Fenstersims, knipste ein Blatt ab und strich den Saft auf meine Finger.
Ich zog sie weg. »Wie machst du das?«
»Was?«
Ich schüttelte den Kopf. »So weiterleben, ganz allein leben, ohne Familie, ohne jemanden, der dir wirklich nahesteht.«
»Ich komm allein zurecht. Das reicht mir.« Sie nickte langsam. »Du hast Leute, die alles für dich geben würden.«
Ich starrte auf meine mit Aloe bestrichenen Hände hinab. »Ich dachte, ich hätte meinen Vater gehabt, aber jetzt wird mir klar, dass das nie stimmte, zum größten Teil jedenfalls nicht. Und Eve …«
»Du hast Eve. Eve gehört doch ganz zu dir.«
Ein bellendes Lachen drang aus meiner Kehle. »Du hast ja keine Ahnung. Du kennst sie nicht, und jetzt wird mir klar, dass ich das auch nie getan habe. Ich hab ihre Maske gesehen, den Teil, der so aussah wie ich, aber es war eine solche Lüge.«
»Keine Lüge. Sie liebt dich, Kerry, daran musst du glauben. Sie ist bloß verwirrt, sie braucht was und weiß nicht, wo sie’s finden soll.«
»Wie konnte sie nur? Wie konnten sie beide nur?« Meine Stimme brach, und ich wartete, dass sie nachfragte, aber wenn sie das täte, was würde ich sagen? So viel war in mich hineingestopft, dass es keinen Platz mehr hatte. Ich würde zu reden anfangen und nicht mehr aufhören können.
Aber sie fragte nicht, sondern beobachtete mich nur mit zusammengekniffenen Augen. »Manchmal sind die Leute, die du am liebsten hast, diejenigen, die dir am meisten wehtun. Es ist wie ein Reflex, du schlägst aus, obwohl du’s gar nicht willst, und hinterher meinst du, dass damit alles vorbei ist. Du denkst dir nichts dabei.«
»Du hast keine Ahnung. Sie denken, sie können mich einfach so herumschubsen. Sie denken, ich sei nichts, bloß eine Kerry-Puppe mit aufgemaltem Lächeln, die nur darauf wartet, wieder herumgestoßen zu werden, aber das bin ich nicht! Das lasse ich mir nicht mehr
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