Auf ewig und einen Tag - Roman
schon ein paarmal gesehen, und ihre Abgestumpftheit machte mir furchtbare Angst. Ich strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Schule«, flüsterte ich.
Sie antwortete nicht. Also stand ich nach einer Weile auf und suchte ein paar Kleidungsstücke zusammen, die sie vielleicht anziehen könnte, einen schwarzen Pullover, einen Rock und dicke Wollstrümpfe. Ich öffnete ihre Kommode und runzelte die Stirn, als ich durch die Unterwäsche wühlte, die ich nie zuvor gesehen hatte: String-Tangas, Strumpfhalter, ein Mieder und einen Bügel-BH mit Löchern, die die Brustwarzen frei ließen. Und verborgen unter den nuttigen Dessous war eine Tüte mit klappernden Flaschen. Schnapsflaschen.
Ich konzentrierte mich auf die Frage, woher sie bloß das Geld für all das haben mochte, um nicht über Eves Reizwäsche nachdenken zu müssen. Aber dann wurde auch diese Frage bedrohlich, und ich schob die seidigen Stücke wieder hinein, griff auf die Rückseite der Schublade und zog einen weißen Baumwoll-Slip heraus. Das alles legte ich ordentlich aufs Bett, als wäre sie ein kleines Kind. »Schule«, sagte ich noch einmal.
Sie drehte sich zu mir um und packte plötzlich meinen Arm.
Sie sah mich eindringlich an, in ihren Augen stand Zorn oder Angst. »Ich hab’s getan«, sagte sie.
Die letzte Nacht war sie bis nach zwei fort gewesen, ich hatte sie hereintaumeln sehen. War ihr etwas passiert? Meine Haut fühlte sich taub an, wie eine Halloween-Maske aus Zelluloid. »Was getan?«
»Er ist toll, findest du nicht auch? Und er liebt mich, ich glaube, das tut er wirklich.«
Ich strich ihr den Pony aus den Augen. »Was ist los mit dir?«
»Ja, das tut er.« Sie ließ meinen Arm los und starrte auf ihre Hand hinab, als gehörte sie jemand anderem. Lächelnd ballte sie sie zur Faust. »Das tut er.«
»Ich hab Brad gesagt, es muss irgendwo sein, wo es warm ist«, erklärte Eve. »Dieser Schnee geht mir auf die Nerven. Und auch kein Provinznest. Vielleicht Key West oder New Orleans, da ist immer was los; man tritt aus der Haustür und ist schon mittendrin in der Party.«
Ich sagte nichts, glich meine Schritte nur den ihren an, die auf dem grauen Schnee am Straßenrand knirschten. Sie schien sich wieder erholt zu haben, und das wollte ich nicht verderben. Wir waren auf dem Weg zur Werkstatt der Caines, ein Zwischenstopp auf Eves Weg zur Polizeistation, damit sie sich »herrichten« konnte. Offensichtlich erledigte Brad an diesem Nachmittag Schreibarbeit. Letzte Woche hatte Eve mir erzählt, dass sie auf dem Schreibtisch rumgeknutscht hätten, und ich hatte entrüstet getan, weil ich wusste, dass sie das von mir erwartete.
»Er meint, was soll’s, solange es mit mir ist. Ist das nicht romantisch? Wenn jemand anders das sagen würde, wär’s unmöglich, aber bei Brad ist es romantisch.«
Bevor Daddy starb, sprachen wir ständig über unsere Zukunft. Wir meinten, wir würden vielleicht reisen, zur Abwechslung ein paar Jahre auf dem Festland leben, aber dann würden wir zurückkommen und Nachbarinnen sein. Das hatte sich offensichtlich geändert.
»Ich sagte ihm, er könnte eine Menge Geld in der Stadt verdienen, und außerdem wäre es wesentlich aufregender, irgendwo zu arbeiten, wo es mehr für ihn zu tun gäbe, als Kindern wegen Ladendiebstahls auf die Finger zu klopfen. Er vergeudet wirklich seine Talente, Ker, er könnte alles machen, wenn er bloß seinen Arsch hochkriegen würde.« Eves Haar war in den vergangenen Wochen zu lang geworden und fiel ihr ständig in die Augen. Aber sie machte sich nicht die Mühe, es zurückzustecken oder es schneiden zu lassen.
»Ich dachte an Politik«, fuhr sie fort, »Bürgermeister oder Gouverneur. Ja, verdammt, vielleicht sogar Präsident. Schau dir Ryan Maclean an, Kerry! Was ist so toll an dem, dass er es in den Kongress geschafft hat? Was ist besser an ihm?« Sie zuckte die Achseln. »Gestern Abend war ich bei Samuel Peckham’s und saß neben ihm. Ich finde, es tut Brad ganz gut, wenn er sieht, dass er nicht unentbehrlich ist. Also setze ich mich zu dem Kongressabgeordneten, rede freundlich mit ihm. Und stell dir vor, als ich aufstehe und weggehen will, lächelt er mich auf diese bestimmte Art an und gibt mir einen Klaps auf den Po.«
»Der Kongressabgeordnete Maclean hat dir einen Klaps auf den Po gegeben?« Irgendwie deprimierte mich das.
»Also, ich bin dann mit dem Präsidenten verheiratet, und vielleicht könnte ich Performance-Künstlerin werden oder Führungen durchs
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