Auf fremdem Land - Roman
Universität gab es aber keinen Grundstudiengang in diesem Fach, also schrieb er sich in der Verwaltungshochschule ein. Er machte mit den Wurfsendungen weiter, während er Prüfungen und Einstufungstests abschloss, und begann sein erstes Jahr, als Anna ihr zweites in Betriebsmanagement anfing. Nachdem sie an verschiedenen Instituten studierten, sahen sie sich weniger als im Jahr davor, hatten es in der Früh meist zu eilig, waren am Abend häufig zu zerschlagen. Ganz selten gelang es Gabi, zur Universität zu kommen und Anna in der Cafeteria zu treffen.
Gabis Leben, das vorher ruhig und bequem gewesen war – wenngleich voller Fragen und Ängste in Bezug auf seine Zukunft –, wurde nun hektisch, stressig und eng, ohne dass die Fragen und Ängste hinsichtlich der Zukunft verschwanden. Die Lebensqualität ließ nach. Die Mahlzeiten waren weniger aufwändig. Die Wohnung wurde ein bisschen vernachlässigt. Wenn er in seinem Flyerjob arbeitete, fühlte er sich schuldig, weil er nicht lernte, und wenn er lernte, fühlte er sich unter Druck, weil er nichts für einen ordentlichen Lebensunterhalt tat und sich nicht auf die Lektüre konzentrieren oder sie genügend interessant finden konnte. Der Abschnitt im Vorlesungsverzeichnis, in dem die Kurse in Kriminologie beschrieben wurden – gesellschaftliche Situationen, die mit Verbrechen zu tun hatten, Psychoprofile von Tätern, Verbrechensstatistik, Detektivwesen, Moralkodex, Konflikttheorien, Analyse aktueller Kriminalfälle, Besichtigungen von Gefängnissen und Gerichten –, ließ keinen Zweifel daran, dass es ein fesselndes Gebiet war. Doch als es in die Details ging, als er stundenlang in der Bibliothek endlose soziologische, anthropologische und biologische Artikel las, die in einer geschwollenen, langweiligen neo-klassischen Akademikersprache verfasst waren, begann er sich zu fragen, was zum Teufel er da machte und wohin sich seine Zeit verflüchtigte.
Dann wurde Anna schwanger. Und der ganze ohnehin vorhandene Druck vervielfachte sich, als hätte jemand den Schalter eins höher gedreht.
Beide waren sich einig, die Schwangerschaft fortzusetzen. Anna dachte an ihre Mutter und ihren Vater, den Freiwilligen, der sich aus dem Staub gemacht hatte, doch das war nicht das Gleiche. Gabi war der Mann für sie. Und Anna die Frau für ihn. Sie hatten zusammen genug erlebt, um das zu wissen, soweit man so etwas überhaupt jemals wissen konnte. Stimmt, sie waren Studenten mit einer bescheidenen Lebensgrundlage, aber Anna hatte immer gedacht, dass sie nicht bis ins reife Alter warten wollte, um ein Kind zu bekommen. Dem Test daheim trauten sie nicht, sie waren überzeugt, dass sie das einzelne Prozent gegenüber den 99 Erfolgsprozenten darstellten, mit denen sich das Schwangerschaftstestset auf der Schachtel brüstete. Nach der ersten gründlichen Untersuchung, die ein winziges schlagendes Herz gezeigt hatte, waren sie durcheinander und aufgeregt, und mitten auf der Straße blieb Gabi stehen und fasste Anna an den Schultern, und sie blickte in seine Augen, und beide hatten ein staunendes Lächeln auf den Lippen – wow.
Gabi beendete sein erstes Jahr und teilte mit, dass er nicht zurückkommen würde. Jedenfalls nicht jetzt, vielleicht in der Zukunft. Einer von ihnen musste Geld heranschaffen. Anna diskutierte nicht. Es war beiden klar, dass ihr Abschluss wichtiger war als seiner. Dass im Gegensatz zu ihm ihre Bestrebungen viel klarer waren – Abschluss, dann Eingliederung im Unternehmensbereich. Dass sie das nicht nur sich selbst und der Fakultät, sondern auch Samuel Laks schuldig war. Und irgendwo, so empfanden beide, auch dem Baby und dem zukünftigen Familienunterhalt.
Die Brieftasche
Zwei Tage nachdem Roni in New York gelandet war, fand er eine Brieftasche im Schnee. Es war die dicke, bauchige Brieftasche einer Frau. Sie enthielt nahezu zweitausend Dollar in bar. Für Roni war das eine natürliche Fortsetzung seines Lebens; die Welt war ihm wohlgesonnen. Er erinnerte sich an einen Satz, den Baruch Schani vor vielen Jahren beim Basketball zu ihm gesagt hatte: Das Glück ist auf Seiten der Guten. Kurz vorher hatte er eine Wohnung an der Upper West besichtigt, die ihm zugezwinkert hatte, aber sie war ein wenig teuer, und er hatte sie unentschlossen verlassen. Als er die Brieftasche fand, machte er auf dem Absatz kehrt und unterschrieb den Vertrag. Er hatte diese Wohnung verdient und sie ihn. Und so wie ihm der Erfolg auf dem Basketballplatz, im Rindersektor, bei der
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