Auf gluehenden Kohlen
er- fahren. Ich wei ß, so verfährt dieses Amt gewöhnlich nicht. Wir haben nur eine Handvoll Anwälte in der County, und ich kenne jeden einzelnen von ihnen, und so setze ich normalerweise die Vorschriften flexibler um. Diesmal aber nicht. Nicht in diesem Fall.« Peter legte Mancini seine Hand auf den Arm. »Ich respektiere das, Mr. Ridgely. Wir können warten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns Bescheid geben würden, sobald die Anklagejury ihr Votum abgegeben hat, und ich wäre auch dankbar, wenn wir so schnell wie möglich über die Ermittlungen informiert würden.«
Peter gab Mr. Ridgely seine Gesch äftskarte. »Steve, lassen wir Mr. Ridgely wieder an die Arbeit gehen.« Mancini sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber er behielt es bei sich. Die beiden Männer gaben Ridgely die Hand und nickten zu Miss O'Shay hinüber. Kurz vor dem Hinausgehen gelang es Peter, Becky rasch ein Lächeln zu schenken. Sie stand so, dass Ridgely sie nicht sehen konnte, und erwiderte das Lächeln. Peters Herz machte einen Satz.
Die T ür ging zu, und Ridgely setzte sich nachdenklich hin. Einen Moment darauf blickte er zu seiner Stellvertreterin hinüber und sagte: »Es ist ausgeschlossen, dass ich die Anklage gegen Gary Harmon führe. Ich kenne die Familie zu gut.« Becky O'Shay hatte gehofft, der Staatsanwalt würde zu dieser Entscheidung kommen. Sie hatte große Angst gehabt, er würde Gary Harmon persönlich anklagen wollen.
»Sie waren doch auch auf der Hochzeit, oder?« fragte er nach einer Weile.
Miss O' Shay war darauf vorbereitet. »Ja«, sagte sie, »aber ich kenne Harmons nicht, und Steve Mancini kenne ich nur beruflich.« Becky O'Shays Übereifer stieß Ridgely ein bisschen ab, aber er verstand ihn. In einem Mordfall die Anklage zu führen war für einen Staatsanwalt die allergrößte Herausforderung, und die Chancen, so etwas in Whitaker tun zu können, waren dünn.
»Ich kann die Generalstaatsanwaltschaft um Beistand bitten. Bei wichtigen Prozessen gewährt sie kleinen Countys Hilfe.« Becky wusste, es hieß jetzt oder nie. Sie zog ihren Stuhl an den Schreibtisch heran und beugte sich zu Ridgely hinüber. »Earl, ich kann das. Sie wissen, dass ich gut bin. Ich erziele eine Verur teilungsrate von f ünfundneunzig Prozent.« »Dies hier ist ein Mordfall, Becky. Was war der komplizierteste Fall, den Sie verhandelt haben?«
»Peck, und den habe ich gewonnen. Drei Wochen Aug in Auge mit einem gedungenen Mörder aus Portland. Ich habe ihm im Gerichtssaal die Hölle heiß gemacht, und Sie wissen es. Fragen Sie Richter Kuffel.«
»Das brauche ich nicht. Er hat mich extra angerufen, um nur zu erzählen, was für großartige Arbeit Sie geleistet haben.« »Dann wissen Sie auch, dass ich die Anklage gegen Harmon führen kann. Geben Sie nur die Chance.«
F ür Ridgely gab es keinen Grund, Becky O'Shay den Fall zu verweigern.
»Der Fall Harmon gehört Ihnen«, sagte er. »Danke. Das werde ich nie vergessen.«
»Bevor Sie Anklage gegen Gary erheben, möchte ich, dass Sie verdammt sicher sind, dass er der Richtige ist.« »Ganz klar.« Miss O'Shay zögerte. Sie wirkte etwas nervös, als sie fragte: »Wie steht es um die Todesstrafe?« Ridgely wurde blass. Er wollte schon etwas sagen, dann besann er sich.
»Ich kann diese Frage aus demselben Grund nicht beantworten, aus dem ich diesen Fall nicht verhandeln kann. Wenn Sie auf Todesstrafe plädieren, muss es Ihre Entscheidung sein.« Becky nickte feierlich wie jemand, der von einem moralischen Dilemma epischen Ausmaßes gequält wird, aber Becky O'Shay hatte beschlossen, die Todesstrafe anzuvisieren, sobald ihr klargeworden war, dass sie eine Chance hatte, die Anklage gegen Gary Harmon zu führen. Eine Menge Türen würden sich für eine Anwältin öffnen, die stark genug war, vor Gericht einen Mordfall erfolgreich zu vertreten.
2
Kevin Booth lebte zehn Kilometer au ßerhalb von Whitaker am Ende einer Schotterstraße in einem Zweizimmerhaus, das kaum besser als eine Hütte war. Fortwährende Windböen, die Müll und Unrat durch die Luft wirbelten, hatten im Anstrich an der Au ßenseite des Hauses Narben und Risse hinterlassen. Eine ausgeschlachtete alte Karre hockte auf Betonblöcken im Vorgarten vor einer kleinen, mit Abfall gefüllten Garage. Booths nächster Nachbar wohnte einen knappen Kilometer entfernt. Die Aussicht ging auf braunes Ödland und Trostlosigkeit, unterbrochen nur durch die schwankende Silhouette einer anderen Hütte, einem elenden, vor langer Zeit
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