Auf gluehenden Kohlen
bezeichnete den Vorgang, durch den die Geschworenen für Gary Harmons Prozess ausgewählt wurden.
Richter Kuffel hatte den Antrag abgelehnt, Garys Aussagen als Beweismittel nicht zuzulassen, aber er hatte Peters Antrag auf individuelles »voir dire« stattgegeben, weil ein Mordprozess mit möglicher Verurteilung zum Tode etwas so Ungewöhnliches war. Keiner der anderen Geschworenen war im Gerichtssaal, um Zeuge von Carmen Polinskys Nöten zu sein, als Becky O'Shay sie fragte, ob sie eine Einstellung zur Todesstrafe habe, die es ihr unmöglich machen würde, für die Todesstrafe zu stimmen, falls Gary Harmon des schweren Mordes für schuldig befunden würde. Immer wenn jemand das Wort Todesstrafe erwähnte, klammerte Mrs. Polinsky sich so fest an ihre Handtasche, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden. Es war klar, dass sie lieber in Zaire den Ausbruch einer Ebola-Epidemie erleben würde, als in diesem Gerichtssaal in Whitaker zu sein. Es war ebenfalls klar, dass Mrs. Polinsky niemals in ihrem Leben jemanden zum Tode verurteilen würde. »Um die Wahrheit zu sagen...«, begann Mrs. Polinsky. Becky O'Shay beugte sich vor und betete insgeheim, Mrs. Polinsky würde ihre Unfähigkeit eingestehen, im Auftrag des Staates zu töten. Normalerweise hätte Becky sie sich mit einem entschiedenen Einspruch vom Hals schaffen können, mit dem ein Geschworener ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden kann, aber man war fast am Ende der zweiten Woche der Geschworenenauswahl angelangt, und die Anklagevertretung hatte alle ihre Einspr üche verbraucht. Jetzt konnte sie Mrs. Polinsky nur loswerden, indem sie den Richter davon überzeugte, dass die Frau dem Staat gegenüber nicht unparteiisch sein konnte.
Mrs. Polinsky sch üttelte den Kopf. »Ehrlich, ich weiß es nicht«, schloss sie.
Miss O'Shay versuchte die Frau aus einem anderen Winkel zu packen. Ihre Aufgabe war es, auf die Frau so einzuwirken, dass sie zugab, niemals jemandem zum Tode verurteilen zu können. Wenn Becky damit Erfolg hatte, war es Peters Aufgabe, die Frau zu rehabilitieren, indem er sie davon überzeugte, dass sie dennoch imstande wäre, für die Hinrichtung von Gary Harmon zu stimmen, denn dies war die einzige Möglichkeit für ihn, sie in der Jury zu behalten. Die Absurdität der Lage, in der er sich befand, entging Peter nicht.
Wieder geriet Mrs. Polinsky ins Schwanken. Richter Kuffel sah auf die Uhr und sagte: »Es ist fast fünf. Ich werde die Sitzung für heute unterbrechen. Mrs. Polinsky, ich möchte Sie bitten, über Miss O'Shays Frage nachzudenken. Wenn wir morgen früh wieder zusammenkommen, erwarte ich von Ihnen eine endgültige Antwort. Ein klares Ja oder Nein. Verstanden?« Mrs. Polinsky eilte aus dem Gerichtssaal.
»Kommen Sie beide ins Richterzimmer«, ordnete der Richter an, als er die Bank verließ. Peter sagte ein paar aufmunternde Worte zu Gary, während die Aufseher ihn mit Handschellen fesselten und abführten. Als Peter seine Papiere einsammelte, bemerkte er, dass Becky sich im hinteren Teil des Gerichtssaals angeregt mit Dennis Downes unterhielt. Auf irgendetwas, das Becky O'Shay gefragt hatte, nickte Downes heftig mit dem Kopf, und Becky setzte ein breites Grinsen auf.
Der Protokollf ührer war nicht anwesend, als Peter und Becky das Richterzimmer betraten, und Richter Kuffel paffte unter Missachtung des Rauchverbots, das er hartnäckig ignorierte, eine stinkige Zigarre. Es war also klar, dass diese Besprechung inoffiziell war.
»Um Himmels willen, Peter«, sagte der Richter, »lassen Sie doch diese Frau aus der Jury raus.“
»Es ist Beckys Sache, Gründe anzuführen, wenn sie sie rausschmeißen möchte«, gab Peter störrisch zur Antwort und ließ sich auf ein entsetzlich weich gepolstertes Sofa fallen, das sich an einer Wand hinzog, die mit Diplomen, Dankschreiben von Gemeindeorganisationen und Fotos von Kuffel gepflastert war, auf denen er Fische unterschiedlicher Größe in die Höhe hielt. »Seien Sie vernünftig, Peter«, sagte Becky. »Selbst wenn sie reinkommt, bleibt sie keinen Tag dabei. Sie ist schon jetzt ein Wrack und hat noch nicht mal die Autopsiefotos gesehen.« »Sie mögen ja recht haben«, antwortete Peter mit einem gönnerhaften Lächeln, »aber das ist trotzdem keine rechtliche Grundlage, sie abzulehnen. Nervös zu sein reicht nicht. Alle in dieser Jury werden nervös werden.«
Richter Kuffel sch üttelte entnervt den Kopf. Haie hatte ja recht, dass er sich in dieser Sache gegen Becky O'Shay wehrte. Gary Harmon
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