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Auf in den Urwald (German Edition)

Auf in den Urwald (German Edition)

Titel: Auf in den Urwald (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Waluszek
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Erstes ›Toter Mann‹ nach unten«, kommandierte Edek, als sie oben angekommen waren. »Pass auf, Sarg ist schwer, nicht, dass er dir auf Füße fällt!«
    Edek hob das eine Ende des Sarges an. Wilfried nicht. Er dachte über etwas nach.
    »Was ist?«, wollte Edek wissen. »Hast du schon vergessen?«
    »Nein«, sagte Wilfried, »mir fällt es gerade wieder ein. Der ›Tote Mann‹ stößt immer mit dem Kopf gegen den Sargdeckel, das ist nicht gut.«
    Edek legte sein Ende wieder ab und holte tief Luft. »Das ist ›Toter Mann‹ ganz egal, Wilfried. Und weißt du, warum?«
    Wilfried schüttelte den Kopf.
    »Weil ›Toter Mann‹ ist nur große Puppe!«
    »Ja, aber die Puppe sieht aus wie ein richtiger Mann.«
    »Gut, sieht aus wie Mann. Aber Mann ist tot, Wilfried. Ganz tot.«
    »Der Mann ist tot«, bestätigte Wilfried, »aber er springt aus dem Sarg und schlägt mit dem Kopf gegen den Deckel!«
    »Wilfried! Ich hab dir doch gerade gesagt: ›Toter Mann‹ ist ein toter Mann!«,
    »Ja, aber ein Mann.«
    Edeks Geduld näherte sich dem Ende. »Wilfried! Willst du mir erzählen, dass ein toter Mann lebt???«
    »Nein. Ein toter Mann ist tot. Wenn ein Mann lebt, dann lebt er. Man muss erst sterben, damit man tot ist.«
    »Gut! Und wo ist Problem, Wilfried, wo ist Problem, jetzt sag schnell, denn ich will arbeiten und nicht dumm quatschen über tote Puppe!«
    »Das Problem ist: Ein Mann ist ein Mann, egal, ob er lebt oder ob er tot ist. Sonst könnte ein Mann auch ein Krokodil sein!«
    Edek wurde es unter der Jacke heiß. Wilfried hatte nicht nur alle Schrauben locker, der war im Kopf irre! Er überlegte. Einem Irren sagte man am besten, dass er normal war. In Edeks Dorf hatte es auch so einen gegeben. Den hatte man immer geholt, wenn er bei der Totenwache Lieder singen sollte. Das hatte er die ganze Nacht gemacht, ohne Pause und ohne Angst, dass ihn der Tote plötzlich ansprang.
    »Okay, Wilfried. Toter Mann ist auch ein Mann!«
    Wilfried nickte zufrieden und lächelte.
    »Und ein Mann muss immer auf seinen Kopf aufpassen«, sagte er sanft und mehr zu sich selbst. Dann, ehe Edek noch etwas antworten konnte – und gerade zu der Sache mit dem Kopf hätte er jede Menge Passendes sagen können –, bückte sich Wilfried, umfasste den Sarg mit seinen riesigen Händen, so zärtlich wie man ein schlafendes Kind umfasst, hob ihn hoch und trug ihn nach unten. Ganz ohne Edek.
     

· 10 ·
     
    V anessa Jagenberg lief in ihrem Zimmer unruhig hin und her. Manchmal blieb sie am Fenster stehen und schaute nach draußen. Es regnete und die ausladenden Eingangsstufen zur Klinik glänzten wie frisch lackiert. Es war Mittwoch und es gab immer noch keine Nachricht von Wilfried. Das machte sie ein wenig nervös. Unnötigerweise, wie sie fand, und sicher aufgrund der Behandlung mit »Juventin«. Denn eigentlich hatte Vanessa Jagenberg in den vergangenen Tagen ihre Pläne bis ins kleinste Detail durchdacht und nach diesen Plänen war es egal, wann sich Wilfried bei ihr meldete. Hauptsache, er tat es. Lange konnte es nicht mehr dauern. Er würde sicher bald irgendeine Dummheit begehen und auffallen. Außerdem hatte er kein Geld. Meldete er sich also nicht selbst, so war eigentlich stündlich mit dem Anruf einer Polizeidienststelle zu rechnen, die ihn irgendwo aufgegriffen hatte.
    Für alles andere hatte Vanessa Jagenberg schon vorgesorgt. Zunächst einmal hatte sie Wilfried heute früh in der Münchner Klinik offiziell abgemeldet und dem Leiter signalisiert, sie wünsche von seiner Seite keine weiteren Schritte mehr. Ansonsten sähe sie sich gezwungen, eine öffentliche Untersuchung der Verhältnisse in seiner Klinik zu veranlassen. Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Der Leiter entschuldigte sich für das Versehen und verzichtete sogar auf eine Abrechnung des laufenden Monats, ein klares Schuldeingeständnis. Als Nächstes hatte Vanessa Jagenberg damit begonnen, entsprechende Dienstpläne für die Zeit ihrer Abwesenheit aufzustellen, denn der Betrieb in der Klinik musste auch ohne sie reibungslos weitergehen. Sie musste vor allem die Patientinnen, die nur von ihr betreut werden wollten und die in dieser Hinsicht äußerst empfindlich waren, vorbereiten. Schon jetzt spielte sie deshalb die überaus besorgte und am Ende ihrer Kräfte stehende Mutter, damit man ihr später abnahm, sie habe mit ihrem Kind zur Erholung verreisen müssen.
    Kurzum: Sie brauchte sich in keiner Weise zu beunruhigen. Die Planung war, soweit sie es

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