Auf in den Urwald (German Edition)
Edek nahm sie in die Arme. »Du musst erst noch einmal probieren. Bis Pforzheim haben wir noch Pause. Wir fahren beide nach Renzberg und sprechen mit Sparkasse. Und die gibt Geld. Und wenn nicht, dann müssen wir ...« Edek stockte, denn er sah gerade, wie hinter dem Riesenrad der graue Transporter mit Jeschkes Geld losfuhr.
»Was müssen wir?«, hakte Mirja nach.
»... müssen wir woanders versuchen«, fuhr Edek fort. »Vielleicht gibt andere Möglichkeit, Geld zu bekommen. Wer weiß ...«
»Wie meinst du das?«
»Einfach so. Meine Onkel in Texas ist auch ganz, äh, ist egal ... Man muss selber probieren und manchmal geht alles.«
»Ja, dein reicher Onkel«, sagte Mirja verbittert. »Aber hier ist nicht Texas. Und jetzt komm. Wir müssen gleich aufmachen. Es muss ja irgendwie weitergehen ...«
Edek sah das rote Tuch sofort, als er den Wohnwagen betrat. Es lag zerrissen auf dem Tisch, und Wilfried, der auf dem Bett saß, grinste. Edek nahm mit ungläubigen Blicken den Tuchfetzen in die Hände. »Wilfried, du Idiot! Du großes Idiot! Was hast du bloß gemacht?«
»Ich habe den Löwenzahn gerettet, den Berthold kaputt gemacht hat!«, sagte Wilfried stolz und zeigte auf den Zahnputzbecher, in dem der Löwenzahn stand.
»Ich spreche nicht von dein blödes Löwenzahn! Was hast du mit Tuch gemacht?«
»Zerrissen.«
»Das seh ich selber! Glaubst du, ich bin blind?«
»Nein, du hast das Tuch gleich gesehen, wie du hier reingekommen bist«, bestätigte Wilfried freundlich.
»Mann, o Mann, o Mann!« Edek war außer sich, er wusste gar nicht, was er sagen sollte.
»Wenn du traurig bist«, meinte Wilfried nach einer Weile ziemlich verunsichert und fingerte aus seiner Hosentasche ein paar Geldscheine heraus, »dann nimm das Geld. Du kannst dir dafür ein noch viel schöneres Tuch kaufen!«
»Ich will kein schöneres Tuch kaufen! Das war bestes Tuch von mir! Hab ich in Texas bei meine Onkel bekommen. Das ist ein echtes Cowboy-Tuch, kriegt auf Ranch nur, wer ein guter Cowboy ist, und ich war bester Cowboy auf wildeste Pferd weit und breit!«
»Aber jetzt bist du kein Cowboy mehr und ein Pferd hast du auch nicht mehr.«
»Das ist egal!!!«, schrie Edek los. »Ein Cowboy bleibt immer ein Cowboy, egal, ob er hat Pferd oder nicht! Mit diese Tuch wollte ich meine erste Rallye gewinnen! Wie auf Ranch von meine Onkel das erste Reiten auf wildestes Pferd weit und breit!«
»Aber ...«
»Das muss jetzt Schluss sein!« Edek warf das Tuch auf den Tisch zurück, ging zu seinem Schrank, riss ihn auf, dass die Tür gegen die Wand krachte, und holte den Revolver.
»Weißt du was, Wilfried?« Edek war im Gesicht ganz rot geworden. »In Texas schießt man so großes Idiot wie du in der Bar tot!«
Er entsicherte die Waffe und richtete sie auf Wilfried.
Wilfried blinzelte den Revolver eine Weile erstaunt an. Dann legte sich ein sanftes Lächeln auf sein Gesicht. »Peng!«, sagte er.
»Was ›peng‹?«, fragte Edek erstaunt zurück.
»Wenn du ›peng‹ sagst, fällt Wilfried tot um. Früher hat Wilfried immer mit Onkel Ludwig Indianer gespielt. Weil mit Mama und Papa durfte ich das nicht, die wollten nicht, dass ich mit Gewehren spiele. Aber mit Onkel Ludwig durfte ich. Wenn ich ›peng‹ oder ›peng-peng‹ machte, fiel Onkel Ludwig immer tot um. Und ich musste ihn dann kitzeln, damit er wieder aufstand. Und dann hat er bei mir ›peng-peng‹ gemacht!« Wilfried war in eine solche Erzähllaune geraten, dass er gar nicht merkte, wie Edek am ganzen Körper zitterte.
»Ich mach keine Spiel«, zischte Edek, als Wilfried voller Freude an die Erinnerung ein glucksendes Lachen von sich gab. »Wenn gleich Kugel aus Revolver kommt, ist Wilfried wirklich tot!«
»Nein, nicht wirklich.«
»So sicher wie Amen in Kirche!«
»Nein«, sagte Wilfried, »du schießt nicht wirklich. Du machst nur ›peng‹. Und gleich danach kitzelst du mich!«
Edek legte den Zeigefinger auf den Abzug. Verdammt, was sollte er nur tun? Wenn er jetzt abzog, gab es nur einen lauten Platzpatronenknall und sonst nichts. Aber Gnade wollte er diesem Verrückten auf keinen Fall zukommen lassen! Mindestens zu Tode sollte er sich erschrecken! Dieses Tuch war unersetzlich. Ohne das Tuch fühlte sich Edek wie ein halber Edek. Warum nur hatte er ausgerechnet heute vergessen, es anzuziehen? Alles nur wegen der zerschlitzten Plane. Alles nur wegen Jeschke ...
Wilfried lächelte erwartungsvoll.
Da plötzlich sah Edek aus dem Fenster Mirja. Sie rannte, als sei
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