Auf in den Urwald (German Edition)
ein. Nichts als Scherereien hatte er mit diesem Irren. Alles, was man ihm auch sagte, ging garantiert daneben. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren!
»Sag endlich Ja oder Nein!« Edek durchbohrte Wilfried mit einem tödlichen Blick.
»Nein«, sagte Wilfried erleichtert, »Wilfried braucht nichts.«
Mirja erhob sich vom Tisch und sah im Kühlschrank nach, was alles fehlte. Irgendwie war Edek heute nicht in bester Laune. Wahrscheinlich hatte er sich gestern wieder mächtig über Wilfried geärgert. Wer weiß, was dieser mit seinen Riesenkräften alles angestellt hatte. Heute Abend würde sie jedenfalls nicht so lange im Krankenhaus bleiben. Und Edek würde keine Pizza essen gehen. Wenn er morgen früh nach Pforzheim fuhr, sah sie ihn ein paar Tage nicht mehr. Daran mochte sie im Augenblick gar nicht denken. Auf jeden Fall würde Edek heute Abend eine bessere Laune bekommen, ganz sicher, dafür würde sie schon sorgen.
Mirja notierte sich auf einem Zettel, was sie alles besorgen musste, und nahm die Einkaufstasche. »Ich beeile mich«, sagte sie. »In einer Stunde bin ich wieder zurück!« Sie lächelte Edek zum Abschied zu und ging.
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, erstrahlte Wilfrieds Gesicht und er öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch Edek ließ ihn erst gar nicht anfangen. »Nein, Wilfried! Nein!« Er sprang auf. »Deine Onkel bleibt nicht bis Bonn in Sarg von ›Tote Mann‹! Deine tote Onkel kommt ganz schnell weg!«
»Aber ...«, versuchte es Wilfried.
»Nein, nein, nein! Edek denkt schon, er wird in Kopf verrückt! Edek will nicht in Geisterbahn arbeiten und deine tote Onkel in Sarg von ›Tote Mann‹ sehen! Schluss!«
»Aber der ›Tote Mann‹ war doch auch tot und da hat Edek nichts gesagt ...«, widersprach Wilfried.
»Wilfried! Noch ein Wort und du bist auch tote Mann! Und jetzt los, Arbeit wartet, Geisterbahn muss weg, nach Pforzheim, nach Hölle!«
Edek stürzte aus dem Wohnwagen und schlug die Tür hinter sich zu. Er musste jetzt unbedingt anfangen zu arbeiten. Sofort. Ganz schnell. Nur nicht mehr denken.
Als Erstes musste der Tieflader nach vorne. Edek hievte sich hinter das Steuer, zündete den Motor, legte den Gang ein, gab Gas und fuhr den Tieflader so scharf um die Kurve, dass eines der hinteren Räder abhob und mit einem lauten Knall wieder auf den Boden zurückschlug.
So war es recht! Wilfried sollte bloß nicht glauben, dass er alles mit Edek machen konnte! Wo blieb der Verrückte überhaupt, warum kam er nicht endlich? Na warte! Dem würde er es gleich zeigen!
Edek rannte zurück zum Wohnwagen und riss die Tür auf. »Los, Wilfried! Arbeiten hat Edek gesagt, arbeiten, nicht schlafen!«
Wilfried, der mit dem Rücken zur Tür am Tisch saß, rührte sich nicht.
»Was ist? Sitzt du auf deine große Ohren?«, tobte Edek.
Wilfried schüttelte langsam den Kopf. »Wilfried ist traurig«, sagte er leise.
»Wilfried ist was?«
»Traurig«, wiederholte Wilfried lauter.
»Ah, und Edek ist lustig!«, platzte es aus Edek giftig heraus.
»Edek kann lustig sein, weil Edeks Onkel ist nicht tot«, sagte Wilfried ohne eine Spur von Vorwurf und drehte sich um. »Aber wenn Wilfried Onkel Ludwig ins Grab bringt, dann wird Wilfried weinen.« Er schniefte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. »Dann ist Onkel Ludwig für immer weg und Wilfried kann ihn nicht mehr sehen. Niemals mehr. Schade, dass Onkel Ludwig nicht noch ein bisschen bei Wilfried bleiben kann. Bis Bonn, wo Wilfried dann einen Sarg kauft und schöne Blumen und ...« Wilfried verstummte, denn sein Kinn begann heftig zu zittern und über seine Wangen liefen Tränen.
Edek wollte etwas sagen, aber plötzlich wurde ihm ganz seltsam zumute. Der verrückte Riese von Mensch saß vor ihm und weinte. Weil sein Onkel tot war. Ganz einfach.
»Äh«, sagte Edek nach langem Schweigen und seine Kehle fühlte sich irgendwie zugeschnürt an, »äh, Wilfried. Warum weinst du immer? Ein großes Mann wie du weint nicht, du bist verrückt ...«
Wilfried schwieg. Immer mehr Tränen liefen über sein Gesicht.
»Äh, Wilfried, hör auf. Edek will deine Onkel nicht wegschmei... äh, deine Onkel kann liegen bleiben bei ›Toter Mann‹ bis Bonn. Ist egal. Jetzt kannst du wieder lustig sein ...«
Edek stieg in den Wohnwagen und klopfte Wilfried auf die Schulter.
»Danke«, sagte Wilfried. Er atmete tief durch und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Dann erhob er sich vom Stuhl. »Ich gehe jetzt zu
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