Auf in den Urwald (German Edition)
war schon ganz alter Mann. Und immer krank. Und reich. Und vielleicht ich bekomme Geld.«
»Drei Millionen?«, lächelte Mirja bitter.
»Ja, nein, ich weiß noch nicht ... Aber wenn ich bekomme Geld, bin ich reich. Wir geben Jeschke Schulden, wir machen Geisterbahn neu, ich kaufe schönes Auto und dann fahren wir nach Paris. In beste Hotel. Wird alles schön sein!«
»Ach, das sind doch nur Träume«, sagte Mirja. »Du hättest mir wirklich von deinem Onkel erzählen sollen. Ich hab mir die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, weil du so anders warst, so, ich weiß nicht ...« Sie sprach nicht weiter.
Auch Edek schwieg. Ihm wollte nichts über die Lippen kommen.
Mirja hielt ihn noch eine Weile im Arm. Dann lehnte sie sich zurück, schaute ihm in die Augen und sagte: »Du, ich will, dass du wieder so bist wie früher, vor Augsburg. Da war es schöner.«
»Ich bin schon wie früher!«, sagte Edek. »Kannst du gleich sehen!«
Er beugte sich zur Mirja und küsste sie. Aber es war nicht so wie früher. Es war, als habe sich zwischen ihn und Mirja ein anderer Edek geschoben. Einer, der nicht mehr verschwinden wollte, sosehr Edek sich auch anstrengte. Einer, der darauf wartete, dass morgen zwölf Uhr mittags vorbei war.
· 7 ·
T rinken Sie das hier, es wird Ihnen helfen!« Vanessa Jagenberg reichte der Patientin ein Glas, in dem sie zuvor ein starkes Beruhigungsmittel aufgelöst hatte. Ihre Hand zitterte.
Die Patientin, die nervös und überspannt wirkte, nahm das Glas entgegen und trank in kleinen Zügen.
Vanessa Jagenberg schaute ihr zu. Nur noch drei Stunden musste sie warten, dann war auch sie von ihren Qualen erlöst. Dann durfte auch sie von dem Beruhigungsmittel trinken und endlich einschlafen. Sie hatte eine grausam durchwachte Nacht hinter sich. Nie zuvor hatte sie so stark unter dem »Juventin« gelitten. Es war wie ein Fluch. Ruhelos gewandert war sie durch die vielen Räume ihrer Villa, bis ihr wieder dieses schreckliche Gesicht erschienen war, nicht im Spiegel mehr, nein, diesmal stand es vor ihr, als lebte es wirklich. Erst durch eine doppelte Dosis »Juventin« war sie dem Wahn entronnen und war dennoch nicht zur Ruhe gekommen. Verzweifelt und wie von fremder Hand gesteuert hatte sie schließlich das Beruhigungsmittel in einem großen Glas Wasser aufgelöst. Was sie am Ende bewogen hatte, es nicht zu trinken, wusste sie nicht mehr. Vielleicht war es ein Rest von Vernunft gewesen, vielleicht aber auch die panische Angst, dass sie dann auf jeden Fall verloren haben würde.
Vanessa Jagenberg atmete tief durch. In drei Stunden war alles vorbei. In drei Stunden würde sie endgültig gesiegt haben. Sie hatte gestern Abend Eduardo Stermann ihre Bedingungen aufgezwungen, ihn regelrecht damit überrascht. Er war bei Weitem nicht so stark, wie sie zunächst geglaubt hatte. Er war vielleicht sogar nur ein Niemand, ein kleiner Trittbrettfahrer, der zufällig Wind von der Sache bekommen hatte und nun seinen Nutzen daraus zu ziehen versuchte. Wer auch immer er war, eines stand ganz sicher fest: Er war schon so gut wie tot.
Die Patientin hatte zu Ende getrunken und gab Vanessa Jagenberg das leere Glas zurück.
»So, und nun entspannen Sie sich erst einmal«, sagte Vanessa Jagenberg und ging zur Tür. »Und vielleicht stellen Sie Ihr Radio eine Zeit lang ab. Diese hektische Musik macht einen regelrecht nervös!«
»O ja, Sie haben recht, Frau Doktor«, sagte die Patientin und drehte das Radio ab. »Ich höre das gar nicht mehr, aber im Unterbewusstsein bekommt man den Lärm doch immer mit!«
»Genau«, bestätigte Vanessa Jagenberg, »das Unterbewusstsein ist oft viel wacher, als man denkt!« Sie lächelte der Patientin noch einmal zu und ging.
Nachdem sie die Tür leise hinter sich geschlossen hatte, warf Vanessa Jagenberg einen Blick in ihre Mappe. Sie musste als Nächstes zum Zimmer 39 in der dritten Etage. Aber sie hatte keine Kraft. Ihre Hände waren schweißnass und sie zitterte. Und da war schon wieder dieses Gefühl, das Gesicht würde gleich wieder auftauchen, schon sah sie es schattenhaft aufkommen.
Vanessa Jagenberg eilte den langen Korridor entlang, dann die Treppe nach unten und erreichte ihr Zimmer, kurz bevor sie glaubte, der Wahn würde sie zerstören. Sie riss die Schublade ihres Schreibtisches auf und griff nach der Ampulle. Es sollte zum letzten Mal sein. Nur noch ein einziges Mal brauchte sie das »Juventin«. Um zwölf Uhr war alles vorbei, dann hatte sie gesiegt. Sie jagte sich
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