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Auf in den Urwald (German Edition)

Auf in den Urwald (German Edition)

Titel: Auf in den Urwald (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Waluszek
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die Nadel tief in den Arm und drückte. Nichts geschah. Sie zerbrach den Hals einer weiteren Ampulle und drückte wieder. Die vierfache Dosis musste doch eine Wirkung zeigen!
    Und endlich wirkte sie. Schlagartig und anders als sonst. Keine heiße Welle durchströmte Vanessa Jagenberg, sondern ein Gefühl, als rieselten Eiskristalle durch ihren Körper und als stiege aus ihrem Unterbewusstsein nach und nach eine ungeheuere Klarheit auf. Und da erklang in ihr die lärmende Musik von vorhin. Nein, es war nicht die Radiomusik, es war eine andere Musik. Es war die Musik, die sie bei den letzten Anrufen des Erpressers stets im Hintergrund gehört hatte. Sie kannte diese Musik. Dieses pulsierende, dumpfe Durcheinander von Tönen und von Rhythmus. Wo hatte sie eine solche Musik zuletzt gehört? Es war erst vor Kurzem gewesen. Im Autoradio? Nein, nicht im Autoradio, aber sicher im Auto. Ja, im Auto, als sie gestern Nachmittag über die Rheinbrücke fuhr! Sie hatte das Fenster ein wenig geöffnet und für eine kurze Zeit diese Musik gehört. Sie kam von den Rheinwiesen. Von der Kirmes! Von dort musste der Erpresser angerufen haben, daran gab es keinen Zweifel!
    Eine Viertelstunde später saß Vanessa Jagenberg in ihrem Wagen und lenkte ihn vom Venusberg in Richtung Stadtmitte. Der geladene Revolver lag für alle Fälle im Handschuhfach. Vanessa Jagenberg warf einen Blick auf die Uhr. Bis zwölf hatte sie noch gut zweieinhalb Stunden Zeit. Wenn es ihr unauffällig gelang, herauszufinden, wer Eduardo Stermann wirklich war, dann hatte er verloren, ohne dass sie irgendein Risiko eingehen musste. Wusste sie nämlich, wer er war, würde nicht er sie überraschen, sondern sie ihn. Alles andere konnte dann planmäßig stattfinden und war eigentlich ein Kinderspiel.
    Vanessa Jagenberg trat heftig auf die Bremse. So vollkommen versunken in ihre Gedanken, hatte sie erst in letzter Sekunde bemerkt, dass die Stadtmitte gesperrt war. Ein freundlicher Polizist wies auf ein Verbotsschild. Vanessa Jagenberg nickte ihm zu und bemühte sich, verständnisvoll zu lächeln. Es war wieder einmal eine der üblichen Demonstrationen, die zur Stadtmitte zog. Ein Protest von Umweltschützern, wie es schien. Jedenfalls war auf großen Transparenten unter anderem zu lesen: »Sparen auf Kosten des Umweltschutzes = Tod der Natur!«. Manche der Protestierenden zogen tatsächlich auf Karren schwarze Särge hinter sich her, auf denen in weißer Farbe Totenköpfe und irgendwelche Parolen prangten.
    Vanessa Jagenberg überlegte kurz, dann entschloss sie sich, die Sperrung links zu umfahren. Die nächste Rheinbrücke war nur anderthalb Kilometer entfernt, der Zeitverlust nicht sehr groß. Sie setzte den Blinker und fuhr los. Wie angenommen, hatte sie gut zwanzig Minuten später die Kirmes auf dem anderen Rheinufer erreicht und parkte den Wagen unauffällig in einer Seitenstraße.
    Die Kirmes war um diese Zeit noch nicht in Betrieb. Hier und da sah Vanessa Jagenberg Leute, die sich an den Geschäften zu schaffen machten. Zwischen manchen Wohnwagen waren Schnüre aufgespannt, auf denen Wäsche hing. Beinahe hätte man meinen können, dies sei ein kleines, verschlafenes Dorf, wenn nicht oben auf der Rheinbrücke der Protestzug mit durchdringenden Fanfaren und Trillerpfeifen zu hören gewesen wäre. Vanessa Jagenberg schaute sich um. Wo sollte sie anfangen? Jemanden fragen war zu gefährlich. Womöglich begegnete sie als Erstem ausgerechnet Eduardo Stermann und machte damit ihren Plan zunichte. In welchem der vielen Wohnwagen lebte er überhaupt? Zu welchem der Geschäfte gehörte er?
    Ein wenig unentschlossen ging Vanessa Jagenberg am Rheinufer weiter, so fiel sie wenigstens nicht auf, eine harmlose Spaziergängerin. In der Nähe der Achterbahn sah sie in einem Wohnwagen am offenen Fenster einen Mann sitzen, der eine Zigarre rauchte und aufgeregt telefonierte. Sie hörte ihn etwas rufen, wie: »Das ist das Letzte!« und »Hab ich mir schon gedacht!« und »Bringen Sie ihn sofort her!«. Weiter hinten, schon fast an der Rheinbrücke, reparierten zwei Männer im Autoskooter-Geschäft die Wagen. Vanessa Jagenberg hörte ihnen eine Weile zu, wie sie sich unterhielten. Keiner von beiden war Eduardo Stermann, sie sprachen ein völlig akzentfreies Deutsch.
    Sie überlegte kurz, dann entschloss sie sich, an der Rheinbrücke entlangzugehen. Hinter dem Autoskooter-Geschäft befand sich eine Geisterbahn. Vanessa Jagenberg blieb stehen und schaute zu dem Monster-Affen hoch. Dann

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