Auf in den Urwald (German Edition)
langsames Tanzstück war angesagt, schon setzte die flüsternd-melodiöse Stimme der Sängerin ein. Edek nahm Mirja in die Arme und drückte sie fest an sich. Ihr Rücken war nassgeschwitzt und er spürte unter seinen Händen, wie sie sich sanft zum Rhythmus der Musik bewegte.
Mirja schaute zu Edek auf. Sie liebte ihn, diesen Verrückten, der gestern Mittag grinsend ankam, sehr geheimnisvoll tat und ihr dann eine wunderbare Flasche Parfüm schenkte, genau die, die sie in Augsburg in der Parfümerie gesehen hatten. Sie liebte ihn wahnsinnig. Das war ihr in den letzten Tagen immer klarer geworden, obwohl sie eigentlich gedacht hatte, sie wüsste es schon. Sie konnte beinahe noch immer nicht fassen, was er alles angestellt hatte. Einen Transporter gestohlen, einen Toten tagelang in der Geisterbahn aufbewahrt, sich mit Berthold geprügelt, geglaubt, sein reicher Onkel in Texas habe ihm drei Millionen Dollar vermacht, Jeschke mit einem Revolver, dem, der eigentlich auf dem Grund der Isar liegen sollte, aus dem Wohnwagen geworfen ... Und sie hatte von all dem nichts mitbekommen, nicht einen Pieps, nur immer so ein sonderbares Gefühl ...
Mirja schmiegte sich noch enger an Edek. Damit war es jetzt vorbei. Mit all den Verrücktheiten. Jetzt hatte sie alles wieder in der Hand und schaute nach dem Rechten. Und auch in die Zukunft konnte sie wieder hoffnungsvoller blicken. Nicht nur Edek hatte viel Glück gehabt, ihrem Vater ging es auch schon besser. Gerade heute Vormittag hatte sie erfahren, dass er Mitte nächster Woche aus dem Krankenhaus entlassen würde. Edek und sie würden nach Augsburg fahren und mit ihm sprechen. Er musste unbedingt eine ordentliche Entziehungskur in einem Sanatorium machen. Mirja hatte sich schon erkundigt und erfahren, dass die Krankenkasse eine solche Kur bezahlen würde.
Blieb nur noch Jeschke, aber an den wollte sie im Augenblick nicht denken. Der hatte ein Verfahren wegen Versicherungsbetrugs am Hals und machte sich in den letzten Tagen auf der Kirmes rar. Und wenn tatsächlich stimmte, dass er die Geisterbahn nur hatte übernehmen wollen, um sie anschließend zu zerstören, dann musste man abwarten, wie das Gericht darüber urteilte. Vielleicht gab es dann eine Chance, das Geld auf Raten zurückzuzahlen. Oder vielleicht passierte ein anderes Wunder, wie Edek immer meinte ...
Mirja lehnte ihr Gesicht an seine Schulter. Wie schön das war. Wie oft hatte sie davon geträumt, so mit ihm zu tanzen. So eng. So fest umarmt.
Die Musik wurde wieder schneller, helle Lichter flammten auf. Der Discjockey kündigte an, es sei der letzte Tanz, die Sperrstunde beginne. Die Disco-Besucher protestierten lautstark, klatschten rhythmisch und riefen dazu: »Wei-ter! Wei-ter! Wei-ter!« Edek und Mirja klatschten und riefen mit. Der Discjockey drehte die Musik lauter, die schweren, metallischen Bässe gingen wie eine Walze auf die Tanzfläche nieder, und tausendfach flackernde Blitze umhüllten die ausgelassen Tanzenden.
»O nein!«, rief Mirja, als sie draußen waren. »Ich kann überhaupt nichts hören! Meine Ohren!«
Ein warmer Juniregen ging nieder und die Lichter der Straßenlaternen waren in einen feinen, feuchten Schleier gehüllt.
Edek streckte die Arme aus und lachte. »Es regnet!«, meinte er.
Er zog Mirja an sich und küsste sie.
»Das riecht gut!«, stellte er fest.
»Ja, es ist ein schönes Parfüm!«
Edek fuhr Mirja durch die Haare, die sich schwer und glatt anfühlten. Sie küsste ihn zart auf die Wange.
»Und jetzt schnell!« Edek nahm Mirja an der Hand, und sie rannten los. Es musste schon lange geregnet haben, denn überall standen Pfützen, in denen sich die Lichter der Schaufenster spiegelten. Das Wasser spritzte unter ihren Füßen.
»Warte!«, rief Mirja. »Meine Schuhe!«
Sie zog ihre Schuhe aus und hielt sie Edek unter die Augen. An dem rechten Schuh hatte sich die durchnässte Sohle gelöst, an dem linken platzte hinten die Naht in der Ferse.
Edek lachte. Fast bekam er einen Hustenanfall.
»Die haben im Sonderangebot nur fünf Euro gekostet«, meinte Mirja. »Einmal Espadrilles für eine Nacht! Hier, Auf Wiedersehen!« Sie warf die Schuhe in den Abfalleimer einer Bushaltestelle.
»Ich auch!«, sagte Edek, zog seine Stiefel aus und warf sie hinterher.
»Nein! Bist du verrückt? Deine schönen Cowboy-Stiefel!« Mirja holte die Stiefel wieder aus dem Abfalleimer. »Wirf deine Socken weg, die stopf ich nicht!«
Edek schaute auf seine Füße und bekam erneut einen
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