Auf Inseln (German Edition)
Paranoia sollten weitverbreitete Zustände in dieser Welt sein. Wer hier nicht paranoid war, war nicht normal. Jedenfalls stellte sich das mir so dar. Würde mich der „Wahnbeschränker“ von meiner Paranoia befreien. Vielleicht verhinderte der „Wahnbeschränker“ nur, dass ich eins und eins zusammenzählen konnte. Ohne Angst und dumm mit einem geschärften Sinn würde ich mich unter die Gesellschaft von Athens mischen. Ich würde Messdienerinnen sehen, wie sie wirklich waren. Das Zeugs hatte natürlich seine Nebenwirkungen. Hin und wieder zitterte ich, mein Bewegungsablauf schien gestört, Schweißausbrüche, Trockenheit im Rachen, die sich mit einer Überproduktion von Speichel abwechselten, hin und wieder Schmerzen in der Nackengegend. Trotz lebhafter Träume hatte ich einen festen Schlaf. Würde man das Zeug von seinen Nebenwirkungen befreien können, wäre es die ideale Staatsdroge, da sie die Angst und die Paranoia von den Staatsbürgern nehmen würde, die Effizienz der Überwachung und die Kontrolle über die Bürger würde weiter bestehen. Die Klerikalen würden kontrollieren bei gleichzeitigem Wohlgefühl der Untertanen. Womöglich nahm man sich bei der gebotenen Angstfreiheit auch zu viel heraus. Angstfreie Bürger ohne Paranoia, die zudem Unordnung in die Gedanken brachte, waren vermutlich gefährlicher für die Gesellschaftsordnung der Bischöfe. Allgemeines Wohlfühlen war Angstfreiheit und Paranoialosigkeit vorzuziehen, aus der Sicht der Lenkenden. Eine Volksdroge, ähnlich wie Cannabis, die schöne Gefühle ermöglichte, durchaus aber Ängste einjagen konnte und schön paranoid machte, wäre ideal für die Designer unserer Gesellschaft. Möglicherweise hatte Gott ein Kraut dieser Art auf dieser Welt geschaffen, aber wir hatten es noch nicht gefunden! Angstfrei, aber durchaus mit anderen Unannehmlichkeiten bewegte ich mich durch die Straßen. Es war allerdings nicht so, dass ich die Überwachungskameras als gute Freunde betrachtete, obwohl ich sie hin und wieder angrinste. Ich wollte mich so verhalten, wie ich mich immer verhalten hatte, aber ich war mir nicht sicher, ob mir meine selbst auferlegte Verhaltenskontrolle gelang. Nahm ich sie überhaupt ernst? Ich ertappte mich dabei, dass ich Frauen unverschämt angrinste, in einer Weise, die ich von mir nicht kannte. Mein „Wahnsinnsbeschränker“ sorgte offensichtlich dafür, dass ich mir keine Chancen einbildete. Gottes Worte wurden von mir bezweifelt wie eh und je, ich konnte die Botschaft, die immerfort verkündet wurde, immer noch nicht glauben. Behandelte die Droge, die meinen Wahnsinn beschränken sollte, die Botschaft als hellen Wahn, vor dem ich geschützt werden musste? Meine Visionen waren beschränkt, eine chemisch induzierte Objektivität betrachtete die Messdienerinnen mit einer überaus starken subjektiven Reaktion. Aber ich stand nicht auf, um eine von ihnen zu küssen. Ich wollte ihre Brüste küssen. Ich war zwar angstfrei oder bildete das mir ein, aber ich war nicht wahnsinnig. Während ich betete, musste ich verstärkt Speichel herunter schlucken. Möglicherweise war meine Fantasie eingeschränkt. Ich schloss nicht die Augen, um mir einen Tanz oder ein Ballett der Dienerinnen vorzustellen. Ich fühlte mich in der Kirchengemeinde wohl. Ich war wohl doch ein Herdenwesen. Es schien so, dass ich abgesehen von gewissen Nebenwirkungen, die ich dann doch in meinem Log aufführte, ein freier Mensch in dieser Gesellschaft geworden war. Ich fühlte mich nicht sonderlich verfolgt, etwas, was ich zuerst gar nicht bemerkte. Schade, dass ich nicht an die Botschaft glauben konnte. Ich war mit dem Anlauf des Experiments zufrieden, wenn auch hin und wieder der Nacken schmerzte. Ich war gespannt auf Paul.
Irgendwie kam ich mir schon verändert vor, manchmal wie unter einer schützenden Glasglocke gesetzt, die mich vor den Bedrohungen und Widerwärtigkeiten des Lebens schützen mochte. Die jüngere Vergangenheit schien weiter entfernt, Bestimmtes konnte ich nicht mehr nachvollziehen. War ich emotionsloser? Ich stand unter Beobachtung, von mir selbst und ich war ein anderer Mensch, der sich allerdings bemühte bis zum definitiven Anfang von Projekt Epsilon sein Leben in den gleichen Bahnen laufen zu lassen. Der Nährboden der Seele war verschoben, was logischerweise zu anderen Entscheidungen und Handlungen führen musste. Mein Appetit war nicht eingeschränkt, im Gegenteil, er war gesteigert, aber womöglich war er leidenschaftsloser,
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