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Auf nassen Straßen

Auf nassen Straßen

Titel: Auf nassen Straßen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jochen! Ich kenne keinen Jochen mehr.«
    Betreten sahen Hannes und Erna Baumgart auf das weiße Tischtuch. Nur Irene Ballin schob mit der Hand eine blonde Locke aus der Stirn.
    »Man kann einen Menschen nicht einfach wegwerfen, Vater. Immerhin ist er Hannes' Bruder und mein Schwager – und dein Sohn.«
    »Er hat sich nicht danach benommen.«
    »Ist das ein Grund, ihn wegzustoßen?«
    »Er hat uns arbeitslos gemacht! Er will uns aushungern! Er ist ein Lump!«
    »Er ist vielleicht verbittert.«
    »Worüber? Ich habe ihn weggeschickt, damit er etwas lernt und später das Schiff weiterführt. Und wie kommt er zurück: als feiner Herr, der alles besser weiß, seinen Vater verspottet, angefüllt mit Ideen, die Verbrechen sind! Ich will meinen Namen und mein Schiff sauberhalten!« Er sah Irene Ballin mit zusammengekniffenen Augen an. »Hast du vergessen, was er über dich gesagt hat?«
    »Er kannte mich ja noch gar nicht.«
    »Um so schlimmer, einen Menschen niederzutreten, den man nicht kennt!«
    Hannes Baumgart legte Irene die Hand auf den Arm. Schweig, hieß das. Sprich nicht weiter. Es ist unmöglich, mit Vater über diese Dinge zu sprechen. Jochen hat dich erniedrigt, er hat dich fast eine Dirne genannt, die nur das Schiff heiratet. Aber dann hat er mich gerettet. Der Karl Bunzel hat den Mund doch nicht halten können. Wir werden alle nicht klug aus Jochen … Er muß zwei Seelen haben, die miteinander ringen. Warten wir ab, welche siegt.
    »Wir werden im Frühjahr mit neuen Motoren fahren«, sagte Hannes. Der alte Baumgart fuhr herum.
    »Das möchte ich sehen! Ich nehme keine Darlehen mehr auf! Ich mache keine Bankschulden mehr!«
    »Ich werde es auch so schaffen, Vater.«
    »Wo wir kaum zu essen haben?!«
    »Auch das wird vorbeigehen.«
    »Aber wir bleiben ehrlich!«
    »Hast du wirklich etwas anderes von mir geglaubt, Vater?«
    »Nein«, sagte Erna Baumgart. »Aber jetzt redet von etwas anderem. Weihnachten ist bald. Wo wollt ihr heiraten, Kinder?«
    »Wo ihr getraut worden seid.«
    »Das war in Duisburg-Ruhrort.« Der alte Baumgart sah seine Frau an. Dreißig Jahre, dachte er. Wie lang sind dreißig Jahre!
    »Dort werden wir heiraten.« Irene Ballin senkte den Kopf. »Darf ich mir etwas wünschen, Vater?«
    »Alles, mein Mädchen.«
    »Alles?«
    »Wenn ich es erfüllen kann.«
    »Du kannst es! – Darf ich Jochen einladen?«
    Der alte Baumgart erhob sich und verließ wortlos die Wohnkajüte. Erna Baumgart nickte Irene mit einem schwachen Lächeln zu. »Lade ihn ein. Irene. Er wird nicht kommen. Aber es ist schön von dir, daß du an Jochen denkst.«
    Als Hannes wenig später an Deck ging, stand der alte Baumgart neben der Ankerwinde und sah in den schwarzen, nächtlichen Rhein. Es war kalt – von Osten wehte es heran und ließ die Verspannungen singen.
    »Du erkältest dich, Vater«, sagte Hannes stockend. »Komm herunter.«
    »Es wird Eis geben. Noch drei Tage – diese Nacht wird es frieren.«
    »Der Frost draußen ist nicht so schrecklich wie der Frost im Herzen.«
    »Hör auf mit diesen Sprüchen. Sie klingen schlecht aus deinem Mund. Jochen ist ein Lump – es wäre sinnlos, es abzustreiten.«
    »Aber er hat mir das Leben gerettet und hat alle Rechnungen des Krankenhauses bezahlt.«
    »Du weißt es also?«
    »Irene hat es mir erzählt.«
    »Und diese ›edle Tat‹ regt dich an, alles zu vergessen, was er uns angetan hat! Er hat uns innerhalb weniger Monate zu Bettlern gemacht, mich und Mutter und dich und Irene …«
    Der alte Baumgart stapfte hinüber zu den Laderäumen, die leer und hoch aus dem Wasser ragten.
    Hannes folgte ihm. Er verstand den Vater, er selbst hatte seinen Bruder gehaßt – aber seit dem Unfall hatte sich das Bild etwas verschoben. Nicht, daß es den Bruder sympathischer machte – das konnte es nicht –, nur machte es ihn rätselhafter, und auch Hannes hatte im geheimen die zwiespältigen Gedanken, die den alten Baumgart quälten: Was geht in diesem Kopf vor, der seiner Familie das letzte Brot nimmt und gleichzeitig heimlich alle Rechnungen bezahlt?
    War Jochen ein Wahnsinniger? Gab es zwei Jochen Baumgart – den kalten, über Leichen gehenden Lumpen und den ab und zu durchbrechenden anständigen Menschen? Zwei Seelen, die miteinander rangen und von denen bis jetzt die böse die Oberhand gewann?
    Der alte Baumgart kontrollierte die Lukendeckel der Laderäume.
    »Vater«, sagte Hannes. »Wenn du einen Augenblick einmal nicht deinen Dickkopf haben könntest …«
    »Ich habe keinen

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