Auf nassen Straßen
Kopf an einen der dicken, glänzenden, abgegriffenen Holme.
Es ist alles ganz anders, dachte er erschrocken. Er ist einfach wieder da! Was hatte ich ihm alles sagen wollen, wenn er vor mir stehen würde! Und nun kommt er und sagt, ich solle mir einen Schal um den Hals wickeln.
In der Kajüte kam ihm die Mutter die paar Schritte entgegen, als Jochen die Tür öffnete. Sie umarmte ihn stumm und ließ dann den Blick frei auf Irene. Die Kreißende lächelte unter Schmerzen Jochen an; sie gab sich Mühe, zu lächeln, obzwar ihre Mundwinkel zitterten.
»Ich mache Ihnen solche Mühe«, sagte sie stockend.
»Das ist doch selbstverständlich, Irene.«
Daß er Irene sagte, brachte ein neues Lächeln auf ihre gemarterten Züge.
Jochen trat an das Bett und drückte Irene die Hände.
»Ich bringe Irene an Land und zur Klinik. Packt sie gut ein. Ich hole eine Bahre.«
Er rannte aus der Kajüte, über das Deck der ›Guter Weg‹ und prallte auf dem Laufsteg mit Herbert Willke zusammen.
»Was wird denn hier gespielt?« fragte Willke laut. »Großes Familientreffen auf Kosten meiner Firma?!«
Jochen Baumgart schob Willke aus dem Weg. »Ich erkläre es Ihnen später! Es geht um Minuten!«
»Ich will jetzt eine Erklärung!« rief Willke scharf. Er hielt Baumgart am Ärmel fest. »Ich verlange, daß wir augenblicklich die Fahrt fortsetzen.«
Baumgart nickte. »Da haben Sie recht! Wir fahren sofort ab, wenn meine Schwägerin an Bord ist! Zurück nach Koblenz!«
Er schlug Willke mit der geballten Faust auf die Hand. Mit einem Schmerzensschrei ließ dieser Jochens Arm los und taumelte gegen das Geländer des Fallreeps.
»Das werden Sie bereuen!« schrie er Baumgart nach und rieb sich die Hand.
Zehn Minuten später trugen Matrosen Irene auf Jochens Schiff. Hannes folgte ihr. Noch einmal ging Jochen hinüber auf den elterlichen Kahn.
»Vater –«, sagte er zu dem alten Baumgart, der stumm am Fallreep stand.
»Ja?«
»Lauft jeden größeren Hafen an. Ich werde voraustelegrafieren, was mit Irene geschehen ist.«
»Gut.«
»Und grüße mir Mutter. Wir sehen uns in Stuttgart. Warte dort, wenn du ausgeladen hast. Ich komme von der Rückfahrt aus Basel zu euch nach Stuttgart.«
Das Fallreep wurde eingezogen, die Taue wurden gelockert – vorsichtig, damit die Schiffsleiber sich nicht rammten, ließ Karl Bunzel die ›Fidelitas‹ zurücktreiben und begann dann erst auf dem breiten Rhein zu drehen und Kurs rheinabwärts nach Koblenz zu nehmen.
Als Baumgart die Kommandobrücke betrat, prallte er vor einer am Boden liegenden Gestalt entsetzt zurück.
»Bunzel! Sind Sie verrückt! Was haben Sie gemacht?!«
»Notwehr, Mister.« Er stieß den ohnmächtigen Willke an und drehte ihn mit dem Fuß zur Seite. Willke hielt noch immer die Pistole umklammert, so, als könne er jeden Augenblick aufspringen und schießen.
»Ach nein«, sagte Baumgart verwundert. »Er wollte mit der Pistole seine Meinung durchsetzen?« Er nickte Bunzel zu. »Es ist gut! Lassen Sie das Schwein liegen. Wenn er aufwacht und frech wird, geben Sie ihm wieder eins auf den dummen Schädel.«
»Mit Vergnügen, Mister.«
Willke wurde frech, und Karl Bunzel war somit voll beschäftigt. Mit einer Hand führte er das Schiff, mit der anderen schlug er zu und traf beim drittenmal Willke gegen den Bauch, genau in dem Augenblick, in dem Willke die Pistole abdrückte.
Im Fallen ging der Schuß in die Holzdecke der Kommandobrücke und riß einen breiten Span heraus.
»Jetzt wird's gemütlich«, sagte Bunzel feierlich. »Der Kerl schießt tatsächlich.« Er ließ einen Augenblick die Steuerung los und stürzte sich auf den sich windenden Willke.
Mit beiden Händen packte er ihn am Kragen des Mantels, schleifte ihn zur Tür, stieß sie auf und warf den sich Wehrenden nach einem harten Schlag gegen das Kinn die steile Treppe hinab.
Die Pfortenschwester des St.-Antonius-Krankenhauses sah erstaunt auf den jungen Mann, der Sturm schellte und mit verstörtem Gesicht in den Vorraum stürzte.
»Ich muß einen Arzt haben! Rufen Sie Krankenträger, lassen Sie eine Bahre kommen! Meine Frau …«
Nach wenigen Minuten kamen zwei Krankenträger mit einer Bahre. Sie luden Irene auf und brachten sie in das untere Untersuchungszimmer. Der junge Arzt hatte sich die Hände gewaschen und untersuchte die mit geschlossenen Augen liegende und leise wimmernde Frau. Dann ging er an das Telefon und rief die Privatwohnung des Chefarztes an.
»Hier Dr. Behrend. Soeben Einlieferung einer
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