Auf und ab - Mord in Hellwege
gebliebenen Körnern. Nicht weit entfernt hoppelt ein Kaninchen durch das Heidekraut. Von Zeit zu Zeit hält es in der Bewegung inne, macht Männchen und putzt sich mit drolliger Bewegung die Spinnweben aus dem Gesicht, die, mit Tautropfen besetzt, zwischen den Heidepflanzen hängen. Ganz dicht ziehen drei Rehe vorbei, eine Ricke führt ein Kitz, das unbekümmert um die Mutter herumspringt. Die Rinder auf der Weide unterbrechen wie auf Kommando ihr Wiederkäuen und glotzen, denn am Rand des Bruches erscheint ein Fuchs, sichert kurz und schnürt dann über die freie Fläche zum Wald. Seine nächtliche Jagd ist jetzt beendet, und er wird den Tag in seinem Bau verschlafen.
Die Sonne steigt nun höher, vertreibt die letzten Nebelschwaden aus den feuchten Niederungen und taucht den neuen Tag in ein helles, freundliches Licht. Alle Blüten öffnen sich und begrüßen die große Mutter.
Dies ist auch die Stunde des Jägers. Er liebt es, um diese Zeit auf seinem Ansitz zu sein. Er ist der Herr über Leben und Tod, doch niemand ahnt es. Zwar ist er sicher, dass er seine Beute erlegen wird, aber auf welche Weise und wann, weiß er nicht, und dieser Kitzel macht einen solchen Morgen unvergesslich.
Schließlich tritt der Todgeweihte ins Freie, und das unausweichliche, oft ausgeübte Ritual nimmt seinen Lauf: Der Jäger hebt das Gewehr, legt vorsichtig auf, lädt, stellt das Zielfernrohr ein, entsichert, spricht das Ziel an, zielt, sucht den Druckpunkt und drückt ab.
Ein guter Schuss, das Opfer fällt.
Laut schreiend streicht ein Fasanenhahn aus dem nahe liegenden Gebüsch ab. Die Rinder heben kurz die Köpfe und grasen dann weiter. Kiebitze taumeln wie ziellos über dem Gras.
Der neue Tag beginnt.
Am nächsten Morgen stand Holten früh auf.
Er hatte schlecht geschlafen und war einmal mitten in der Nacht aufgewacht, weil er von einem seltsamen Traum aufgeschreckt worden war: Er war mit seinem Fahrrad auf der Landebahn in Weser-Wümme umhergefahren und war dabei von einem Flugzeug verfolgt worden, das er nicht sehen konnte, das jedoch immer hinter ihm gewesen war. Es war eine zweimotorige Maschine gewesen, das hatte er am Geräusch festgestellt. Schließlich hatte er sich mit seinem Rad sogar in der Luft bewegen können, doch das Flugzeug war immer hinter ihm geblieben. Als sein Verfolger immer näher gekommen war, war er aufgewacht. Er hatte schlecht wieder einschlafen können, denn das Grübeln über die Ungereimtheiten zwischen Pauschens, Mullemanns und Rieckers Aussagen, Kasings Unschuldsbeteuerung und den merkwürdigen Drohbrief an Lehmberg hatte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, doch zu einer Lösung hatte er nicht kommen können.
Irgendwann, als die Vögel im Garten ihr Konzert begonnen hatten, war er dann doch wieder eingeschlafen.
Als er morgens aufwachte, hatte er leichte Kopfschmerzen, wie immer, wenn er mehr als ein Glas Wein getrunken hatte. Doch nach einem Kaffee, einer Kopfschmerztablette und einer Fahrradtour zum Flugplatz in frischer Luft sollten sie verschwunden sein.
Sie frühstückten gemeinsam, denn Susanne hatte geplant, zwei Tage lang einen Lehrgang zu besuchen, und daher verließ sie das Haus später als gewöhnlich. Nach einem intensiven Abschiedskuss starteten sie, Susanne zu ihrer Tagung und Holten zum Flugplatz.
Als er den Fahrtwind spürte, bedauerte er, dass er sich nicht wärmer angezogen hatte, denn der Morgen war zwar schön und sonnig, aber noch recht kühl.
Holten war sich sicher, dass er Riecker antreffen würde, obwohl er ihn telefonisch nicht erreicht hatte. Riecker pflegte früh aufzustehen, und bei einem solchen Wetter arbeitete er für gewöhnlich immer draußen auf dem Platz. Holten hatte sich vorgenommen, ihn intensiver zu befragen als bei ihrem letzten Gespräch, ihn mit den Aussagen Pauschens zu konfrontieren und ihm mit › Zuckerbrot und Peitsche ‹ die Wahrheit zu entlocken. Er vermutete, dass Riecker aus einem ihm noch unbekannten Grund bei ihrem ersten kurzen Gespräch gelogen hatte.
Auf der gepflasterten Fläche vor den Flugzeughallen stieg er vom Rad, ließ seinen Blick über Vorfeld, Rollwege und Landebahn streifen, konnte Riecker jedoch nicht entdecken. Als er in den Clubraum gehen und mit seinem Schlüssel, den er als Flugleiter ja besaß, aufschließen wollte, bemerkte er, dass die Tür unverschlossen war. Riecker musste also schon aufgestanden sein und sich irgendwo auf dem Gelände herumtreiben. Er hätte die Vereinsräume nicht unverschlossen gelassen, wenn
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