Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
war Lady Nicholas? Was war aus Lady Isabel geworden?
„Isabel?“ Nicks Frage riss sie aus ihren Gedanken.
Morgen . Um Lady Isabel würde sie sich morgen sorgen.
Sie lächelte. „Ich würde dir gern das Anwesen zeigen.“
Und schon saßen sie im Sattel, Isabel vor ihm, an ihn geschmiegt, als er den Grauen zurück zum Haus traben ließ. Unterwegs zeigte sie ihm all die Orte, die ihr als Kind so viel bedeutet hatten: das Wäldchen, in dem sie sich versteckt hatte, wenn sie allein sein wollte, der kleine Teich, in dem sie schwimmen gelernt hatte, die zerfallene Ruine des alten Wehrturms, wo sie gern Prinzessin gespielt hatte.
„Du hast Prinzessin gespielt?“
Sie blickte hinauf zu der alten Ruine, die sich am höchsten Punkt des Anwesens befand. „Königin zu spielen, das erschien mir dann doch etwas vermessen. Ein Mädchen muss seine Grenzen kennen.“
Er lachte und brachte das Pferd zum Stehen. „Wie wäre es mit einer kleinen Schlossführung, Euer Hoheit?“
Sie wandte sich um, sah das neckische Funkeln in seinen Augen. „Gern“, sagte sie.
Schon hatte er sie aus dem Sattel gehoben, nahm ihre Hand und strebte die Anhöhe empor. Oben angekommen, ging Isabel um die Ruine herum und strich mit den Fingern versonnen über das alte Gemäuer. „Ich war seit Jahren nicht mehr hier oben.“
Nick lehnte sich an eine halbhohe Mauer, die einst einen längst zerstörten Innenraum begrenzt hatte, und ließ Isabel in Ruhe diesen Ort der Vergangenheit erkunden. Nur mit den Blicken folgte er ihr, beobachtete sie, wie sie inmitten der steinernen Überreste, der eingestürzten Säulen und Gesimse umherging. „Welche Abenteuer hat Prinzessin Isabel denn hier erlebt?“, fragte er schließlich.
Sie lächelte versonnen. „Oh, was kleine Mädchen sich eben so vorstellen …“
„Leider hatte ich nicht das Vergnügen, viele kleine Mädchen zu kennen“, sagte er.
Durch einen steinernen Fensterbogen blickte sie hinaus auf die endlos weite Landschaft. „Ich habe mir ausgemalt, dass ich eine schöne Prinzessin wäre, die in einem Turm auf ihren Ritter wartet, der sie errettet. Eine böse Fee hatte mich verwunschen, ein gefährlicher Drachen hielt mich gefangen – was man sich eben so vorstellt. Aber manchmal kam ich auch nur her, weil ich …“ Sie drehte sich um und sah, dass er verschwunden war.
„Du kamst her, weil …?“ Er stand nun auf der anderen Seite des Bogenfensters, stützte die Arme auf den breiten Sims und sah sie gespannt an. Sie musste lachen, wie er da so stand, mit windzerzaustem Haar, und sie frech angrinste.
Sie ahmte seine Pose nach, stützte die Arme auf, sodass sie die seinen leicht berührte. „Weil ich mir in Ruhe meine Zukunft ausmalen wollte.“
„Und wie sah die aus?“
Sie sah beiseite. „Oh, das Übliche … ein Mann, Kinder. Minerva House hatte ich ganz gewiss nicht vorgesehen.“ Sie lachte kurz, schwieg dann und dachte eine Weile nach. „Komisch, dass alle kleinen Mädchen davon träumen. Dabei hatte ich in meinen Eltern wirklich kein gutes Vorbild. Und doch …“ Wieder verstummte sie.
„Und doch hat Lady Isabel dereinst davon geträumt zu heiraten“, schloss er in leichtem, neckendem Ton. Genau das, was sie brauchte, um nicht in Tränen auszubrechen.
Lächelnd blickte sie in seine blauen Augen. „Ja. Wenngleich …“, ging sie auf seinen kecken Ton ein, „… sie sich niemals hätte träumen lassen, einen von Londons begehrtesten Junggesellen zu heiraten. Sie kann sich wirklich glücklich schätzen, einen so lukrativen Lord erlegt zu haben.“
Seine Brauen schossen in die Höhe, das Kinn fiel ihm herab, und der Anblick war so köstlich, so kurios und komisch, dass sie zu kichern anfing und kaum noch aufhören konnte.
„Du wusstest es!“
Mit großer Geste legte sie die Hand aufs Herz. „Mylord, wie können Sie nur geglaubt haben, dass es auch nur eine Frau im ganzen Land gibt, die nicht von Ihnen wüsste? Selbst wenn wir nicht von Perlen und Pelissen belehrt worden wären, so hätten wir doch erkannt, welch …“, sie legte eine bedeutsame Pause ein, „welch Prachtexemplar der männlichen Spezies uns da über den Weg gelaufen ist.“
Er hörte es mit leisem Grimm. „Sie halten sich für sehr witzig, Lady Nicholas.“
Sie grinste. „Ich weiß , dass ich sehr witzig bin, Lord Nicholas.“
Da lachte er und strich ihr eine rotbraune Locke aus dem Gesicht, die der Wind gelöst und an ihre Wange geweht hatte. Dann erstarb sein Gelächter, und nach kurzem,
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