Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
wieder aufbrechen wollen.“
Aha, dachte Nick, ein diskreter Versuch, ihn auszuhorchen, aber darauf würde er sich nicht einlassen. „Ganz und gar nicht“, sagte er lächelnd. „Rock meinte eben noch, wie reizend es hier doch sei. Wie es aussieht, bleiben wir noch eine Weile. Wir können uns also Zeit lassen.“
„Oh …“, sagte sie, „… gut.“ Doch ihm entging nicht die leise Enttäuschung in ihrer Stimme.
Sie wollte, dass er rasch wieder verschwand.
Aber warum?
Allmählich wurde es wirklich spannend.
Aus dem Augenwinkel nahm Nick wahr, dass eine Tür, nicht weit von ihnen entfernt, einen Spalt offen stand. Und da, in etwa vier Fuß Höhe, spähte ein kleines Gesicht heraus und starrte ihn mit großen Augen an. Es war der Junge von eben.
Er zwinkerte dem Kleinen zu, der erschrocken nach Luft schnappte, als er sich ertappt sah – und empört aufschrie, als jemand ihn jäh von seinem Ausguck zurück ins Zimmer zog.
Isabel verzog keine Miene, als die Tür zugeschlagen wurde, und ging ihnen voraus zur Treppe. „Wenn Sie mir bitte folgen würden. Ich werde Ihnen nun die Sammlung zeigen.“
Schweigend gingen sie hinauf, wobei Nick die zurückhaltende Würde des Hauses bewunderte, das gewiss seit über einem Jahrzehnt keine Neuerungen mehr gesehen hatte. Die Beleuchtung war spärlich, die Flure düster und von Dienstboten verlassen. Fast alle Türen waren geschlossen, was vermuten ließ, dass die dahinterliegenden Räume selten oder gar nicht genutzt wurden.
Als Isabel sie einen langen, schmalen Korridor entlangführte, konnte Nick sich die Frage nicht länger verkneifen: „Verzeihen Sie meine Neugier, Lady Isabel, aber weshalb haben Sie das Dach repariert?“
Sie schwieg eine Weile, ehe sie erwiderte: „Weil es leckt.“
Die Frau kann wirklich die Geduld eines Heiligen versuchen .
Er wartete auf weitere Erklärungen. Als keine kamen, meinte er: „Nun, ich vermute, dass dies der häufigste Grund ist, ein Dach zu reparieren.“
Er überhörte den despektierlichen Laut, der von Rock kam, irgendetwas zwischen Lachen und Luftschnappen.
Im hintersten Winkel des Hauses angelangt, stieg ihm ein vertrauter, keineswegs unangenehmer Geruch in die Nase – ein feiner Hauch nach staubigem Gestein, der für ihn lange Zeit mit wunderbaren Entdeckungen verbunden gewesen war. Als Lady Isabel ihnen eine Tür am Ende des Flurs öffnete, war er schier geblendet vom Sonnenlicht, das über die Schwelle fiel.
Isabel trat beiseite, ließ ihm den Vortritt in einen großen, perfekt symmetrisch geschnittenen Raum mit hoher Decke und hohen Fenstern, durch die das Licht des späten Nachmittags ungehindert hereinströmen konnte. Dutzende Skulpturen, eine jede verschieden in Größe und Gestalt, standen in weiße Laken gehüllt über den Raum verteilt.
Sie hat sich die Sammlung nicht nur ausgedacht .
Gespannte Erregung erfasste Nick, als er sich umsah. Es juckte ihn in den Fingern, die staubigen Laken zu lüften und die darunter verborgenen Schätze zu begutachten. Nach ein paar Schritten drehte er sich zu Isabel um. „Sie haben nicht zu viel versprochen.“
Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen, und er meinte Stolz aus ihren Worten herauszuhören. „Gleich gegenüber ist noch ein Raum. Gewiss möchten Sie sich den auch ansehen.“
Nick konnte seine Überraschung kaum verbergen. „Allerdings. Vielleicht könnte Miss Caldwell mit Rock schon mal vorausgehen, während Sie mir kurz etwas über die hier versammelten Skulpturen erzählen.“
Nach kurzem Zögern nickte Isabel ihrer Cousine zu, die daraufhin mit Rock das Zimmer verließ. Die Tür ließen sie weit offen, wie es sich gehörte. Gespannt sah Nick zu, wie Isabel eine der Skulpturen enthüllte. Nicht einen Moment ließ er sie aus den Augen, folgte jeder ihrer Bewegungen, als sie das Laken herunterzog und ein großer Marmorakt zum Vorschein kam.
Er trat an die Statue, betrachtete sie eine Weile, strich dann mit der Hand über einen sanft geschwungenen Arm. Ehrfurcht lag in seiner Stimme. „Wie schön sie ist“, sagte er.
Isabel betrachtete die Skulptur mit seitwärts geneigtem Kopf. „Ja, nicht wahr?“
Ihr andächtiger Ton riss ihn aus seiner Versenkung. Er drehte sich nach ihr um und sah, wie versonnen, fast verlangend sie die Statue betrachtete. „Und so leibhaftig“, setzte er trocken hinzu. „Keine Ausgeburt der Fantasie.“
Jäh blickte sie auf. „Hatten Sie an meinen Worten gezweifelt?“
„Es kommt nicht alle Tage vor, dass mir eine
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