Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
„Sagen wir einfach, dass es mich nie gereizt hat, eine Ehe wie die meiner Eltern zu führen.“
Er nickte bedächtig. „Das kann ich verstehen. Doch nicht alle Ehen sind so.“
„Mag sein“, räumte Isabel ein und blickte in ihr leeres Glas. „Wahrscheinlich kommen Sie aus einer glücklichen Familie.“
Nick lachte kurz auf, sodass Isabel überrascht aufsah. „Weit gefehlt“, sagte er, womit die Sache für ihn erledigt schien; er wechselte das Thema. „Und deshalb werden Sie also die Sammlung verkaufen.“
Allein die Vorstellung schmerzte sie, und sie konnte ihr Bedauern nicht verbergen. „Ja.“
„Aber Sie wollen es nicht.“
Wozu lügen? „Nein.“
„Warum tun Sie es dann? Gewiss hat Ihr Vater einen Vormund bestimmt, der helfen kann?“
„Wir konnten unseren sogenannten Vormund leider noch nicht auffinden. Mein Vater hat es mal wieder mir überlassen, dafür zu sorgen, dass wir etwas zu essen auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf haben.“ Lächelnd fügte sie hinzu: „Im wahrsten Sinne des Wortes.“
Er schmunzelte, und in diesem Moment sah sie eine Veränderung in seinen Augen, sah eine Bewusstheit in dem strahlenden Blau, die keinen Zweifel daran ließ, wohin seine Gedanken schweiften – hinauf zum Dach, dem plötzlichen Regen und allem, was danach geschehen war. Isabels Wangen röteten sich, und am liebsten hätte sie ihr Gesicht in den Händen vergraben, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
„Vielleicht kennen Sie ihn ja?“
„Ihren Vormund?“
Sie nickte. „Oliver, Lord Densmore.“
Nick hob die Brauen. „Densmore ist Ihr Vormund?“
Sein Ton verhieß nichts Gutes.
„Sie kennen ihn also.“
„Allerdings.“
„Und wie ist er so?“
„Er ist …“ Sie ließ Nick nicht aus den Augen, während er nach dem treffenden Wort suchte. „Nun, er ist sehr unterhaltsam.“
„Unterhaltsam.“ Isabel ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen und kam zu dem Schluss, dass es ihr nicht schmecken wollte.
„Ja, sehr unterhaltsam. Wie Ihr Vater, vermute ich. Gleich und Gleich gesellt sich gern. Allerdings ist Densmore kaum der Mann, den ich zum Wohl meiner Familie bestellen würde.“
Natürlich nicht .
Isabel hatte es ja schon geahnt, aber wider besseres Wissen hatte sie gehofft, dass ihr Vater am Ende doch noch seiner väterlichen Verantwortung gerecht geworden war. Wenn schon nicht ihr gegenüber, dann wenigstens für James.
Doch Nicks Worte machten sie noch beklommener. Allein die bloße Vorstellung, dass abermals ein verantwortungsloser Mann Macht über sie bekäme … über James … über die Mädchen … genügte, dass sie kaum noch Luft bekam. Panik stieg in ihr auf. Nackte, blanke Panik.
Sie musste die Mädchen von hier fortschaffen. Sofort. Ehe sie alle in der Falle saßen.
Ehe man sie fand.
Ehe alles, was sie aufgebaut hatte, von einem Mann, der wie ihr Vater war, zunichtegemacht wurde.
Sie versuchte, tief durchzuatmen – bekam aber keine Luft.
„Isabel.“
Ihr Name schien aus weiter Ferne zu kommen; sie hatte die Augen geschlossen und zwang sich durchzuatmen. Auf einmal war Nick neben ihr, seine Hand auf ihrem Rücken, strich er über die Stäbchen ihres Korsetts. „Diese Dinger sind Folterinstrumente“, murmelte er und hob ihr Kinn. „Schauen Sie mich an, Isabel, und atmen Sie tief durch.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich …“ Sie hielt inne, versuchte es noch einmal. „Es geht schon.“
„Nichts geht. Atmen Sie weiter.“
Seine ruhige Entschlossenheit half ihr, sich zu fassen. Während er den Blick auf sie gerichtet hielt und die Hand nicht von ihrem Rücken nahm, holte sie ein paar Mal tief Luft.
Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, drängte Isabel sich seitlich an die Sessellehne, um seiner mit einem Mal beunruhigenden Berührung zu entkommen. Er zog seine Hand zurück, blieb aber, wo er war. Schweigend hockte er neben ihrem Sessel und sah sie an. Sie wandte sich ab. Es war ihr furchtbar peinlich, und sie schämte sich ihres Verhaltens. Ihr Blick fiel auf die Tür, und sie begann Ausreden zu ersinnen, um ihm zu entkommen.
„Sie werden jetzt nicht gehen.“
Wie bitte? Sie konnte gehen, wann es ihr beliebte. Es war ihr Haus, auch wenn er sich aufführte, als wäre es seins. Sie packte die Lehne so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“
Seine Augen blitzten. Er beugte sich vor und nahm ihre Hände in seine. „Sie brechen unter der Last Ihrer Geheimnisse schier zusammen,
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