Auferstanden: Thriller (German Edition)
zurückgehen.«
»Bist du Arzt?« Ihre Stimme war sanft und unschuldig.
»Nein.« Suresh schüttelte den Kopf. »Ich kenne mich ein wenig aus.«
»Und das nicht nur in der Medizin. Offenbar bist du auch in der Kampfkunst ausgebildet«, sagte sie. »Das waren diese Männer allerdings auch.«
Suresh stand langsam auf, nahm ein Tablett von dem Tisch und brachte es ihr. Dann setzte er sich wieder in der Ecke auf den Boden.
Sie blickte auf das frische Obst und die dicke Scheibe Brot auf dem Teller. Daneben lag eine weiße Orchidee. Sie nahm sie in die Hand und trank einen Schluck Wasser aus einem Zinnbecher. »Wohnst du hier?«
»Im Augenblick, ja.« Er lächelte.
Während sie mit der Hand über die Wunde auf ihrem Kopf strich, spähte sie noch einmal auf das Essen und den Eisbeutel auf dem Bett. »Danke.«
Suresh nickte.
»Du hast mir keine einzige Frage gestellt.« Sie neigte den Kopf neugierig zur Seite.
»Nein«, erwiderte er nur.
Einen Moment herrschte Schweigen, doch zwischen den beiden begann es zu knistern.
»Ich heiße Nadia«, sagte sie schließlich mit einem verhaltenen Lächeln.
Nadia Desai war seit fast einem Monat auf der Flucht. Die Männer, von denen sie eine Woche lang beobachtet worden war, hatten an diesem Morgen versucht, sie zu schnappen. Sie hatten die Aufgabe, sie nach Hause zu bringen, und dabei spielte es keine Rolle, welcher Methoden sie sich bedienten. Auf jeden Fall sollte sie nach Mumbai zurückgebracht und dort vor Gericht gestellt werden.
Sie war neunzehn Jahre alt, zwei Jahre jünger als Suresh. Nadia sprach kaum über ihre Kindheit. Sie sagte nur, dass sie hart gewesen sei und sie viel Gewalt erleiden musste. Doch ihre perfekten Zähne und ihre kultivierte Sprache ließen vermuten, dass die Schwierigkeiten in ihrer Kindheit eher psychischer als körperlicher Natur gewesen waren.
Als Nadia aus ihrer Heimat geflohen war, hatte sie keine konkreten Pläne gehabt. Sie schlug sich bis in die Bergregion durch, um ein neues Leben zu beginnen und Liebe und Abenteuer zu finden. Bei Suresh fand sie sowohl das eine als auch das andere. Er durchquerte mit ihr den Dschungel und zeigte ihr, wie man in der Wildnis überlebte. Er brachte ihr bei, wie sie sich besser verteidigen konnte, und erklärte ihr, wie wichtig es war, Aggressionen und körperlichen Konfrontationen möglichst aus dem Weg zu gehen.
Eine Woche verging bis zu ihrem ersten Kuss und ein Monat, ehe sie miteinander schliefen. Und als es geschah, wusste Suresh, dass er eine Partnerin gefunden hatte, mit der er sein Leben verbringen wollte.
Es war eine triebhafte Leidenschaft, und sie liebten sich ungestüm, aber zärtlich. Sie führten ein einfaches Leben, das sie größtenteils im Freien verbrachten. Die Wohnung benutzten sie nur, um ihre glühende Leidenschaft auszuleben, zu schlafen und sich zu waschen. Sie lebten von dem Geld, das ihnen der Verkauf ihres Schmucks einbrachte. Suresh verkaufte auch seinen Rubinring und Nadia ihre Goldkette. Materielle Werte interessierten sie nicht. Die Welt rings um sie herum und ihre gegenseitige Gesellschaft boten alles, was sie zur Unterhaltung brauchten. Um die Wahrheit zu sagen, hatte Nadia noch eine andere Leidenschaft, und zwar die Fotografie. Sie machte Fotos von dem großen Dschungel, von Suresh, von ihnen beiden beim Essen, Schwimmen und Händchenhalten. Sie fotografierte sie beide nackt im Bett und in leidenschaftlicher Umarmung. Diese Fotos bekam niemand zu sehen außer ihnen beiden.
In der dritten Woche ihrer Beziehung fand Suresh die Mitteilung an seiner Tür. Fünfzehn Minuten später saß er seinem Vater in dem Café gegenüber.
»Du bist nicht zurückgekehrt«, sagte sein Vater.
»Das ist jetzt mein Leben«, erwiderte Suresh. »Du lebst in der Vergangenheit, du und alle anderen auch. Du behauptest, innere Visionen zu haben, und doch bist du blind für die Welt ringsherum.«
»Dieses Leben wird dich nicht befriedigen.« Sein Vater schaute ihn mit traurigen Augen an.
»Du behauptest, meine Wünsche und Gefühle zu kennen.«
»Nein, aber ich weiß, wie du denkst, denn ich bin dein Vater.«
»Dann solltest du wissen, dass ich jemanden gefunden habe …«
»Erwidert sie deine Liebe?«
Suresh starrte seinen Vater an. »Wir spüren eine tiefe Verbundenheit. Wir sind füreinander bestimmt. Das Schicksal, das du so gerne zitierst, hat uns zusammengeführt.«
»Fühlt sie sich dir genauso zugetan wie du dich ihr? Liebt sie dich?«
»Sie sagt es hundert Mal am Tag. Sie
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