Auferstehung
Wie soll ich die Wahrheit verschleiert haben?
»Wie? Hast du nicht gesagt, ich hätte dir die Gelegenheit gegeben herauszubekommen, was mit deinen Verwandten geschehen ist? In Wirklichkeit hast du die Gelegenheiten selbst geschaffen. Als ich Moskau verließ, hatte ich nicht vor, die Bibliothek in Pitesti zu besuchen, also wer hat mir diese Idee in den Kopf gesetzt? Und als du von Ladislau Giresci erfahren hast, musste ich einfach hin und ihn treffen, oder nicht?«
Höre, Dragosani ...
»Nein, du hörst jetzt zu. Du hast mich benutzt. Genauso wie ein Vampir aus einem Groschenroman seine menschlichen Handlanger benutzt, so wie du vor 500 Jahren deine Szekely-Diener benutzt hast. Aber ich bin kein Diener, Thibor Ferenczy, und das ist dein großer Fehler. Du wirst ihn noch bereuen.«
Dragosani, ich ...
»Ich will nichts mehr hören, alter Drache, nicht von deiner gespaltenen Zunge. Es gibt nur noch eins, das du für mich tun kannst: Verschwinde aus meinem Geist!«
Dragosanis Geist war voll ausgebildet, trainiert, scharf wie eines seiner Skalpelle. Die Nekromantie, von diesem Vampir einst in ihm wachgerufen, hatte seinen Verstand abgehärtet, er arbeitete schnell und tödlich. Er war dem eines gewöhnlichen Menschen weit überlegen – aber wie stark war er wirklich? Dragosani probierte es aus. Er dehnte seinen Geist aus, presste das Ungeheuer heraus, vertrieb es.
Du Undankbarer!, rief Thibor vorwurfsvoll und zog sich zurück. Eines Tages wirst du mich brauchen, und dann kommst du zurück. Aber warte nicht zu lange, Dragosani. Höchstens ein Jahr, dann kannst du dir aus dem Kopf schlagen, jemals Wamphyri-Wissen zu erlangen, denn dann ist es zu spät. Ein Jahr, mein Sohn, nicht mehr als ein Jahr. Ich werde warten, und vielleicht habe ich dir bis dahin ... vergeben ... Dragosaanii ...!
Er war fort.
Dragosani entspannte sich, atmete tief durch und fühlte sich plötzlich erschöpft. Es war schwer gewesen, Thibor auszutreiben. Der Vampir hatte widerstanden, aber Dragosani war stärker gewesen. Doch das wahre Problem würde darin liegen, ihn dauerhaft fernzuhalten. Andererseits wusste Dragosani jetzt, dass Thibor sich im Geheimen in seinem Geist breitmachen konnte, also konnte er Ausschau nach dem alten Teufel halten.
Was seine rumänischen ›Ferien‹ betraf: Sie waren beendet, bevor sie richtig begonnen hatten. Fluchend trat er auf die Bremse, riss den Wolga im Halbkreis herum und schlug dann wieder die Richtung ein, aus der er gekommen war. Er war todmüde. Aber der Schlaf musste noch warten. Dragosani wollte Distanz zwischen sich und dem Alten in der Erde bringen.
Weit außerhalb von Bukarest hielt Dragosani, um zu tanken. Er versuchte, Thibor herbeizurufen. Es war immer noch taghell, aber er spürte etwas: eine schwache Antwort, ein Zittern in seinem Geist, etwas, das nachhallte wie ein Ruf in einem Sarg und zuckte wie ein Leichenwurm.
In Braida, als die Dämmerung bereits eingesetzt hatte, versuchte er es noch einmal. Die Präsenz wurde mit dem Heraufziehen der Nacht stärker. Thibor war da und hätte geantwortet, hätte Dragosani es zugelassen, doch er schloss seinen Geist und fuhr weiter. In Remi, nachdem er durch den Zoll gefahren war, öffnete er alle Schleusen und lud Thibor wortwörtlich ein. Es war jetzt tiefste Nacht und trotzdem klang das Flüstern in seinem Geist schwach, als käme es aus einer Million Kilometer Entfernung: Dragosaaaniii. Feigling! Du fliehst vor mir. Vor einem alten Geschöpf, das in der Erde festsitzt.
»Ich bin kein Feigling, du alter Teufel. Und ich flüchte nicht, sondern verschwinde nur aus deinem Einflussbereich, damit du mich nicht erreichen kannst. Und wenn du es doch schaffst, werde ich es beim nächsten Mal merken. Thibor, du weißt, dass du mich mehr brauchst als ich dich. Jetzt wirst du dort liegen bleiben und darüber nachdenken. Vielleicht komme ich eines Tages zurück, vielleicht aber auch nicht. Und w enn, dann wird es zu meinen Bedingungen sein.«
Dragosani. Das Flüstern war schwach und flehend. Ich –
»Leb wohl, Thibor.«
Hinter ihm wurde Thibor Ferenczys mentales Wispern von Kilometer zu Kilometer schwächer, und nach einer kleinen Weile fühlte sich Dragosani sicher genug, um zu halten und etwas zu schlafen. Und seine eigenen Träume zu träumen.
ZEHNTES KAPITEL
Frühling 1976
Viktor Shukshin war fast pleite. Seinen Erbteil aus dem Vermächtnis von Mary Keogh-Snaith hatte er mit verschiedenen geplatzten Unternehmungen vergeudet; die Abzahlungen für
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